Fundstücke aus dem Fußballmuseum (8): So emblematisch kann Nikotinsucht sein – FAZ

Er ähnelt ein wenig der Schale für Kleingebäck aus der Nierentischzeit. Entstanden aber ist der Aschenbecher in Marineblau mit weißgläsernem Sockel erst Ende der achtziger Jahre in der Tiroler Kristallschmiede Swarovski. In den Handel kam er nicht. Es gibt ihn nur zweimal, denn er war ein Geschenk des damaligen Firmenchefs Gernot Langes an Ernst Happel und César Luis Menotti, die beiden kampfrauchenden Startrainer jener Zeit. Happel, 1992 im Alter von 66 Jahren gestorben, war Österreicher, Menotti, geboren 1938, ist Argentinier. Ihr ererbtes Exemplar haben Ernst Happels Enkel nun dem Deutschen Fußballmuseum als Dauerleihgabe anvertraut.

Jochen Hieber



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Auf den ersten Blick hat es dort gar nichts zu suchen, erinnert es doch an ein Ereignis, das ganz ohne den zuvor höchst schmählich gescheiterten deutschen Fußball stattfand - an das Endspiel der Weltmeisterschaft von 1978. Zum ersten und einzigen Mal in ihrer langen Laufbahn sind sich Happel und Menotti dabei an der Seitenlinie des Platzes als Gegner begegnet. Der ewige Grantler und beredte Schweiger aus Wien betreute die Nationalelf von Holland, der eloquente Grandseigneur aus der Arbeiterstadt Rosario natürlich seine Argentinier, die bei ihrer Heim-WM dann auch ihren ersten Titel holten: 3:1 schlugen sie die Niederlande in der Verlängerung.

120 Zigaretten am Tag

Die Nikotinsucht beider Trainer war ein beliebtes Thema in der Berichterstattung über das Turnier. Der Endspiel-Reporter des britischen Fernsehens erzählte in seinem Live-Kommentar von einer argentinischen Karikatur, die Menotti als Monstrum zeige, mit vier Kippen in jeder Hand und mit Ohren, aus denen Glimmstengel wüchsen - auf Youtube nachzusehen, nachzuhören. Über Menottis Kontrahenten weiß der Sportjournalist Oskar Beck in einer Reminiszenz an das Finale zu berichten: „Auf der Bank der Holländer rauchte Ernst Happel die Zigaretten nicht mehr, er fraß sie, unterbrochen von Hustenanfällen.“

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Happels Marke hieß Belga - und galt bis zu ihrem Verschwinden vom Markt im vergangenen Jahr als das stärkste Kraut unter einer von ihrem Qualm vernebelten Sonne. Wie viele Belgas Happel pro Spiel oder pro Tag konsumierte, darüber spekulierten keineswegs nur die Klatschblätter. Menotti, der eine mexikanische Sorte bevorzugte, erging es nicht anders. Seit 2011 rauche er nicht mehr, bekannte er unlängst in einem Interview. In früheren „Spitzenzeiten“ sollen es 120 Zigaretten am Tag gewesen sein. Daran könne er sich nicht mehr erinnern, entgegnet Menotti. Sicher aber sei, dass Ernst Happel „viel, viel mehr geraucht hat als ich“.

Der statische Vorfahr des Liberos

Geteilt haben die beiden auch das schlechte Gewissen ob ihrer Sucht. Und sie zogen daraus eine bei Rauchern überaus typische Konsequenz: Sie warnten andere vor dem, was sie selbst taten. „Ich hab kein Rauchverbot bei meinen Spielern“, so Happel, „ich will nur keinen rauchen sehen.“ Der stets und nicht selten auch trefflich lästernde Trainerkollege Max Merkel spottete einst über Menotti, er sei ein „Kettenraucher, der mit einem Glimmstengel im Mundwinkel dazu auffordert, die Gefahren des Tabakgenusses zu meiden“.

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