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Yo soy Nisman: Zehntausende Argentiniern demonstrierten in dieser Woche für die Aufklärung des rätselhaften Todes - und gegen Präsidentin Cristina Kirchner.
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Yo soy Nisman: Zehntausende Argentiniern demonstrierten in dieser Woche für die Aufklärung des rätselhaften Todes - und gegen Präsidentin Cristina Kirchner.
Was derzeit in Argentinien geschieht, hat mit Rechtsstaatlichkeit nicht viel zu tun. Ein Staatsanwalt, der den größten Anschlag in der Geschichte des Landes aufklären sollte, wird erschossen aufgefunden. Die Staatspräsidentin wartet nicht etwa die Ermittlungen ab, sondern präsentiert ihre eigenen Erklärungen: Erst behauptet sie, es sei Selbstmord gewesen, dann redet sie von Mord durch den Geheimdienst. Die Justiz kann nach einem Monat noch nicht sagen, wie der Staatsanwalt umkam, will aber auf der Grundlage seiner Arbeit Anklage gegen die Präsidentin wegen Strafvereitelung im Amt erheben – was die Regierung einen versuchten „Justizputsch“ nennt. Das Volk demonstriert und ist nach Umfragen überzeugt davon, dass der Fall nie aufgeklärt wird.
Autor: Nikolas Busse, Jahrgang 1969, stellvertretender verantwortlicher Redakteur für Außenpolitik.
Mit diesem Skandal ist das südamerikanische Land, das sich stets seine europäische Tradition zugute gehalten hat, an einem Tiefpunkt seiner politischen Entwicklung angelangt. Cristina Kirchner steht in einer langen Reihe von Präsidenten, die die öffentlichen Institutionen ausgehöhlt haben. Politik hat in Argentinien nur noch am Rande mit Streit um die besten Lösungen fürs Gemeinwohl zu tun. Sie ist zu einem großen Geschäft verkommen, in dem sich die Machtcliquen bereichern, das Recht beugen und die Verwaltung in Korruption halten; die Medien werden kontrolliert oder offen bekämpft. Nach der Militärdiktatur haben die Argentinier zu oft die falschen Leute gewählt, Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft sind durch das gesamte föderale System hindurch verbreitet.
Tragisch ist, dass es Argentinien schon einmal sehr viel besser ging. Vor hundert Jahren gehörte es zu den reichsten Ländern der Welt, die eleganten Viertel in Buenos Aires zeugen bis heute vom Wohlstand und der Hochkultur dieser Zeit. Öl, Gas, Land im Überfluss, eine der exportstärksten Agrarwirtschaften, eine gut ausgebildete Mittelschicht und eine entwickelte Industrie sollten eigentlich auch heute noch genug sein, um vierzig Millionen Einwohnern ein gutes Leben zu ermöglichen. Aber die schlechte Regierungsführung würgt die Entwicklung immer wieder ab. Unter Kirchner hat die Inflation vierzig Prozent erreicht (was die Regierung leugnet, die Menschen aber täglich spüren), sie hat Zuflucht zu Importsubstitution und Kapitalverkehrskontrollen genommen. Im Zeitalter der offenen Weltwirtschaft ist das eine ökonomische Geisterfahrt.
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Die Bürger, die ihr Geld noch nicht ins Ausland geschafft haben, investieren es neuerdings in Autos, weil sie wenigstens da noch auf einen Werterhalt hoffen. Für harte Währungen wie Dollar und Euro blüht der Schwarzmarkt. Die Armutsviertel in den großen Städten wachsen, ebenso die (Drogen-)Kriminalität. Argentinische Wohnungen und Häuser werden heute mit Gitterstäben gesichert wie Gefängnisse. Entführungen, Überfälle und Morde beherrschen die Nachrichten. Als vor einem Jahr die Polizei streikte, wurden innerhalb weniger Tage ganze Einkaufsviertel geplündert. Wird es im Sommer zu heiß, fällt selbst in der Hauptstadt tagelang der Strom aus.
Viele Argentinier, vor allem in den gebildeten Schichten, machen für diese Entwicklung „Cristina“ verantwortlich, wie die Präsidentin im kumpelhaften Tonfall des Landes allerorten genannt wird. Das ist sicher nicht falsch, denn unter dem Ehepaar Kirchner (der vorige Präsident war ihr verstorbener Ehemann) wurde die Herrschaft autokratisch und planwirtschaftlich. Zur Eindämmung der enormen Geldentwertung, die auch ein großes soziales Problem ist, fuhr die Regierung nicht etwa die Finanzierung des Haushalts durch die Notenpresse zurück, sondern zwang die Händler dazu, die Preise für einen Teil der Lebensmittel einzufrieren. Und statt das Schuldenproblem endlich zu lösen, das die Wirtschaft seit nunmehr vierzehn Jahren belastet, macht sie Stimmung gegen ausländische „Geierfonds“ und leiht sich Geld aus China.
Die Wurzeln dieses Niedergangs reichen weit zurück. Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa hat sie kürzlich mit der Bemerkung beschrieben, Argentinien sei eines Tages vom peronistischen Fieber befallen worden. In der Tat hat die Dominanz dieses politischen Denkens, das auf Verstaatlichungen, Protektionismus, Umverteilung und Nationalismus setzt, dem Land über die Jahrzehnte vermutlich mehr geschadet als alle anderen Unzulänglichkeiten seiner Gesellschaft, zu denen vor allem eine Gleichgültigkeit für die beschämende Armut der Unterschicht gehört. Kirchner hat sich stets als Verbündete des venezolanischen Sozialisten Hugo Chávez und seiner kubanischen Freunde verstanden, der sein Land allerdings noch schneller und gründlicher ruinierte als sie das ihre. Der neue Präsident, der im Oktober gewählt wird, wird wahrscheinlich wieder ein Peronist sein.
Argentinien liegt von Europa zehntausend Kilometer entfernt. Das bedeutet nicht, dass uns sein Schicksal nicht interessieren sollte. Der Linkspopulismus, der das Land und andere Teile Lateinamerikas ins Unglück gestürzt hat, findet auch in Europa immer mehr Zuspruch, siehe Spanien oder Griechenland.
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