Exil der Drogenbosse: Argentiniens gefährliche Gäste

Buenos aires. Der Mann besaß sieben Pässe, wohnte abwechselnd in sechs Häusern und bewegte sich fast immer unter dem Schutz seiner acht Leibwächter. Doch als Spezialkräfte auf dem Parkplatz eines Nudelrestaurants nördlich von Buenos Aires zugriffen, war Henry de Jesús López Londoño nur in Begleitung des Chauffeurs.

Stunden später unterbrachen viele argentinische TV-Kanäle das Programm, um zu verkünden, dass soeben einer der meistgesuchten Bosse der kolumbianischen Drogenmafia gefasst worden war, sie nannten auch den Kampfnamen des 41-Jährigen aus Medellín: „Mi Sangre“ – „Mein Blut.“

Schon wieder. In den vergangenen Jahren durften die Argentinier mit Regelmäßigkeit den Medien entnehmen, dass ihr Land nicht nur attraktives Ziel für arme Einwanderer aus Bolivien und Paraguay darstellt. Es siedeln sich auch schwerreiche Immigranten an, die ihre Finanzkraft abseits jeder Legalität erworben haben.

Im April 2011 verhaftete die Flughafenpolizei den Geschäftsmann Ignacio Alvarez Meyendorff, der gerade gut gebräunt von einem Tahiti-Urlaub zurückkam. Der Kolumbianer war seit 2005 in Argentinien wohnhaft, hatte am Rio de la Plata etwa 50 Firmen gegründet und im großen Stil in Immobilien und Landwirtschaftsbetriebe investiert. Nun sitzt er in Auslieferungshaft, die US-Antidrogenbehörde DEA verdächtigt ihn, tonnenweise Kokain in die USA geschmuggelt zu haben. Organisiert habe der Boss die Deals von seinem luxuriösen Apartment im Nobelviertel Puerto Madero aus.

„In Argentinien suchen die Narcos nach Ruhe und der Möglichkeit, legale Geschäfte zu machen“, sagte Kolumbiens oberster Drogenpolizist, Luis Alberto Pérez Albarán, Argentiniens größter Tageszeitung „Clárin“. Tatsächlich hat auch „Mi Sangre“ in Firmen in seinem Fluchtland investiert. Den Polizisten, die ihn festnahmen, stellte er sich als Autohändler vor.

 

„Hohes Niveau an Korruption“

Die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner bestreitet, dass sich ihr Land zum „Narco-Paradies“ entwickelt habe, wie die kolumbianische Tageszeitung „El Tiempo“ getitelt hat. Tatsächlich aber hat der Kampf gegen die Drogenmafia bisher keine groß Priorität, was sich auch daran ablesen lässt, dass die Nordgrenzen des Landes, an denen täglich hunderte Kleinmaschinen einfliegen, nicht mit Radar überwacht werden.

„Argentinien muss die Aufklärungsarbeit verbessern“, sagt Alejandro Corda, Universitätsdozent in Buenos Aires. „Hier fehlen alle wichtigen Informationen – über Personen und die Strukturen der Organisationen dahinter.“ Edgardo Buscaglia, der in Mexiko und an der New Yorker Columbia University lehrt, assistiert: „Es sind alle Voraussetzungen gegeben, damit sich Kartelle ansiedeln: Es gibt keine Ermittlungsprogramme und ein hohes Niveau an Korruption.“

Wie hoch dieses Niveau ist, wurde Ende Oktober offenbar, als der Polizeichef der wirtschaftlich zweitstärksten Provinz Santa Fé verhaftet wurde. Die Justiz verdächtigt den vormaligen Chef der Drogenfahndung, ein gigantisches Beziehungsgeflecht zwischen Polizisten, Drogenhändlern und Fußballrowdies verwaltet zu haben, mindestens 200 Polizisten sollen darin verstrickt sein, behaupten die Ermittler. Die Provinz Santa Fé wird von Nord nach Süd von der Bundesstraße 34 durchschnitten, der wichtigsten Verbindung zwischen hunderten illegalen Landepisten im Norden und den Flusshäfen Rosario und San Lorenzo, wo Schiffe nach Europa ablegen.

Argentinien ist ein wichtiges Transitland für Drogen nach Europa, aber es ist auch ein immer wichtigerer Drogenmarkt. Im Vorjahr stellten die Behörden die Rekordmengen von 6,3 Tonnen Kokain und 96,6 Tonnen Marihuana sicher. „Den Export organisieren kolumbianische und mexikanische Kartelle“, sagt Claudio Izaguirre, von der NGO „Associación Antidrogas“, den Inlandsmarkt beliefern Narcos aus Kolumbien, Paraguay und Peru. In der „Villa 1-11-14“, dem gefährlichsten Slum der Hauptstadt, organisieren Exkämpfer der peruanischen Guerilla „Leuchtender Pfad“ den Handel mit Kokain und seinem äußerst schnell süchtig machenden Abfallprodukt Paco, das die Jugendlichen der Armenviertel zerstört.

 

Mord an Ex-Sicherheitschef

Gelegentlich kam es vor, dass die unheimlichen Einwanderer ihre „Bräuche“ im Gastland auslebten: Im April feuerte ein Auftragsmörder im bürgerlichen Barrio Norte sein Pistolenmagazin in den Kopf des ehemaligen Sicherheitschefs des kolumbianischen Super-Capos Daniel „El Loco“ Barrera. Der Boss war wohl nicht einverstanden damit, dass sich seine ehemals rechte Hand in der Pampa mit einer neuen Identität ausgestattet zur Ruhe setzen wollte.

Der kolumbianische Drogenboss Henry de Jesús López Londoño, alias „Mein Blut“, ist nur einer von vielen Narco-Gangstern, die sich nach Argentinien zurückgezogen haben. Er wurde nun verhaftet. Er stellte sich den Polizisten als „Autohändler“ vor. Die Kartelle aus anderen lateinamerikanischen Staaten suchen in Argentinien einen Ruheraum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2012)

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