Emmentaler in Argentinien

Tagblatt Online, 31. Oktober 2013, 17:29 Uhr

Eine wahre Geschichte, viel literarische Freiheit und Tangomusik. So könnte man das Erzähltheater «I bi meh aus eine» von Pedro Lenz und Patrik Neuhaus alias Hohe Stirnen zusammenfassen. Der Autor und der Musiker ergänzen sich dabei bestens.

ROGER BERHALTER

Wenn Pedro Lenz liest, ist das schon wie Musik. Der Berner Autor spricht mit sonorer Stimme ins Mikrophon, schnell und doch entspannt. Er dehnt die Silben, streckt seine Mundartsätze, bis daraus ein monotoner Gesang wird. Und immer wieder Wiederholungen: «Adiö, adiö, adiö!», lässt Lenz seinen Protagonisten Peter Wingeier rufen, als dieser sich mit gestohlenem Geld aus dem Staub macht, das Emmental verlässt und in der Neuen Welt, in Argentinien, sein Glück versucht.

Eine wahre Geschichte

Pedro Lenz war tatsächlich dort. In Romang, jener Kleinstadt nordwestlich von Buenos Aires, die der Emmentaler Siedler Wingeier 1873 gegründet hatte. Lenz erfuhr dort, dass Wingeier nach dem Griff in die Gemeindekasse ein Gauner blieb. Auf der Überfahrt nach Argentinien luchste der Auswanderer der Witwe eines verstorbenen Arztes die Papiere ab. In der Neuen Welt angekommen, nahm er dessen Identität an, nannte sich fortan Theophil Romang und praktizierte eine Weile als Arzt. Schliesslich schwatzte er der Regierung ein grosses Stück kostenloses Land ab, gründete dort die Siedlung Romang, verkaufte Parzelle um Parzelle und wurde reich.

Diese Geschichte – literarisch reichlich ausgeschmückt – erzählt Pedro Lenz in seinem neuen Buch «I bi meh aus eine», das er zusammen mit dem Berner Musiker Patrik Neuhaus auch auf die Bühne bringt. Die beiden nennen sich Hohe Stirnen und sind diese Woche in der Kellerbühne zu Gast.

Melancholie wird zu Melodie

Lenz mit seiner klingenden Stimme brauchte die Musik nicht unbedingt. Und doch ist das Klavier von Patrik Neuhaus mehr als nur Begleitung. Er kontrastiert die Berner Mundart mit argentinischem Tango, untermalt Peter Wingeiers «Adiö» mit perlenden Akkorden und übersetzt die Melancholie der Siedler in Melodien. Lenz macht sich auf diesen Akkorden breit und tänzelt zwischen den Tönen.

Kleine Worte, grosse Themen

Lenz und Neuhaus schauspielern nicht, dennoch tauchen die Zuhörer sofort ein in ihre Geschichte, und die Figuren erscheinen vor Augen, obwohl Lenz ihr Äusseres kaum beschreibt. Dafür erzählt er mit einfachen Worten von Grossem: Von der Suche nach der eigenen Identität, dem Fehlen von Vertrautem in der Fremde, der Abnabelung von der eigenen Herkunft, der scheinbar unausweichlichen Kleinkariertheit: «Auch das grösste Dorf ist ist zunächst einmal einfach ein Dorf.»

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