Ein Tweet ins Abseits

Die Kunst der eleganten Völker­veräppelung ist nur wenigen gegeben. Die Blödler von Monty Python waren einst nah dran mit ihrem Lied «I like Chinese» («They’re cute and they’re cuddly and they’re ready to please»). In den Versen der Briten schwang genug Selbstironie mit, sodass sich nicht wirklich irgendein Chinese beleidigt zu fühlen brauchte.

Ausserdem machte das Lied dankenswerterweise einen Bogen um all die anderen Klischees vom Chinesen, der, wenn er einen nicht gerade totlächelt, zum Kung-Fu in den Bambuswald bittet. Tagein, tagaus trinkt er grünen Tee und ernährt sich, abwechselnd den Lehren des Karl Marx und des Konfuzius folgend, von Reis aus feinen Porzellanschälchen, in die ansonsten gerade noch das süss-sauer geschmorte Hündchen der Nachbarsfrau passt, denn dabei kommen ihm immer die besten Ideen, wie er das iPhone 7 schon sechs Monate vor Apple auf den Markt bringt. Dabei hat der Chinese noch Glück, dass er Chinesisch spricht, weil «Reis» könnte er gar nicht sagen, das hört sich bei ihm an wie «Leis».

Blödsinn. Alles. Obwohl. Als Studenten in der alten Kaiserstadt Xi’an besuchten wir einst einen bunten Abend der Universitäten. Nach der Halbzeitpause trat eine elegant gekleidete Studentin auf die Bühne und hob zu einer Hommage an Doris Day an. «When I was just a little girl …» Wir ausländischen Studenten lauschten gebannt. Bis der Refrain kam, und die Dame aus voller Brust schmetterte: «Que se-la, se-la, se-laaaaa.» Da war es dann nicht mehr weit her mit der Andacht.

Trotzdem und gerade deshalb sei hier festgehalten: Der Mythos, die Chinesen könnten kein «R» aussprechen ist Unsinn. Es gibt vielmehr Chinesen, die rollen das «R» in «Horst» so, dass auch der bayrische Ministerpräsident Seehofer in Deckung geht. Wahr ist allerdings, dass es das «R» in ihrer Sprache nicht gibt, weswegen chinesische Fremdsprachenanfänger manchmal beim «L»-Laut landen.

Chinesenwitze, die «R» und «L» vertauschen, sind also ungefähr so lustig wie Deutschenwitze mit Nazi­gebell. Bloss Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner hat das offensichtlich noch keiner gesagt. «Waren die etwa alle hier wegen des Leises und des Petloleums?» twitterte sie ihren mehr als 3,5 Millionen Followern während ihres Staatsbesuchs in Peking nach einem Forum mit 1000 Geschäftsleuten. Die Gastgeber nahmen den Affront gefasst. Im Netz zeigten sich überwiegend die Argentinier fassungslos, die Chinesen reagierten eher sou­verän. Was auch daran gelegen haben mag, dass Twitter in China gesperrt ist. «Wir ärgern uns schon deshalb nicht», schrieb ein Nutzer auf dem chinesischen Twitter-Pendant Weibo, «weil wir gar nicht wissen, was Twitter ist.» Das wiederum wies genau jenen Grad an Ironie auf, der Kirchner abging.

Auf Betteltour in Peking

Die Tatsache, dass die Präsidentin einer krisengeschüttelten Volkswirtschaft quasi auf Betteltour in Peking war, trug dazu bei, dass aus vielen Kommentaren eher abfälliges Mitleid sprach statt empörtes Zornesgeheul. «Immerhin hat China sein Chinesisch», schrieb ein Weibo-Nutzer: «Ihr habt ja nicht einmal eine eigene Sprache.»

Fernández Kirchner schickte übrigens nach dem ersten Aufschrei noch einen Tweet hinterher. «Sorry. Aber wisst Ihr was? Das Ausmass an Lächerlichkeit und Absurdität ist so gross, dass man es nur mit Humor verarbeiten kann. Sonst ist das sehr, sehr giftig.» Möglicherweise hielt sie das für eine Entschuldigung.

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 05.02.2015, 21:43 Uhr)

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