Ein Komplize war er nicht, aber auch kein Held

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09. September 2014

BUCH IN DER DISKUSSION: "Bergoglios Liste" bewertet das Wirken des heutigen Papstes unter der argentinischen Junta.

Weshalb ist Jorge Mario Bergoglio nicht schon 2005 Papst geworden? Fehlten dem damals 68-jährigen Erzbischof aus Buenos Aires im Konklave entscheidende Stimmen, weil manche Kardinäle argwöhnten, der Kollege könnte während der Militärdiktatur in Argentinien den Machthabern zu nahe gekommen sein? Der italienische Autor Nello Scavo zeichnet in dem Buch "Bergoglios Liste" das Bild eines Mannes, der nicht nur nicht schuldig wurde, sondern zahlreiche Menschen vor der Junta gerettet habe.

Bergoglio war erst 37, als die Jesuiten ihm 1973 die Leitung ihrer Provinz Argentinien anvertrauten. Drei Jahre später putschten sich Videla, Viola Co. an die Spitze von Lateinamerikas zweitgrößtem Land. Rund 30 000 Menschen fielen den Generälen zum Opfer – noch heute trauern die "madres y abuelas", die Mütter und Großmütter, jede Woche öffentlich in Buenos Aires um ihre toten Männer und Väter, Söhne und Enkel. Und um etwa 500 Menschen, die damals im Kerker zur Welt kamen und zur Adoption freigegeben wurden, während die Junta ihre Mütter ermorden ließ.

Der junge Jesuitenprovinzial geriet da in den klassischen Konflikt der Gegner jedes Terrorregimes: Offen Widerstand leisten und zum Helden werden – aber sich damit in höchste Gefahr bringen? Der heutige Papst entschied sich, gegen die Diktatur im Stillen zu kämpfen. Indem er, wie Scavo schildert, Gefährdete vor den Schergen warnte, sie mitunter im Kofferraum seines Autos in Sicherheit brachte, in seinen Seminaren versteckte und Einzelne aus den Krallen der Junta frei bekam. Sein international geknüpftes Netz funktionierte, weil es geheim blieb und die Geretteten schwiegen.

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Nello Scavo taxiert ihre Zahl auf "sicherlich mehr als einhundert", im Buch zitierte Zeugen zählen deutlich mehr. Manche Regimegegner erfuhren offenbar erst nach der Diktatur, wem sie ihr Überleben verdankten – selbst wenn sie mit der Kirche nichts am Hut hatten. Das gilt teilweise auch für die, die der Provinzial vor jenen Bischöfen geschützt hat, die mit der Junta kollaborierten. "Faschokatholisch" nennt sie der in München promovierte argentinische Theologe Juan Carlos Scannone.

Dass Bergoglio sich von der "Theologie der Befreiung" fern hielt, die bei den Militärs als marxistisch besonders angefeindetet wurde, war wohl nicht nur Taktik. Aber er bekannte sich zur pastoral orientierten "Theologie des Volkes". Doch die Junta verfolgte jene Jesuiten als "Kommunistenpriester", die Bergoglio in den "Villas miserias" arbeiten ließ, den Armenvierteln der Millionenstadt. Ausgerechnet zwei von ihnen, Franz Jalics und Orlando Yorio, beschuldigten nach fünf Monaten Kerker und Folter 1977 ihren Provinzial, sie nicht geschützt, vielleicht sogar verraten zu haben. Jalics hat seinen Vorwurf inzwischen auch für den verstorbenen Yorio revidiert – freilich erst nach der Papstwahl 2013. Fragen zu diesem höchst komplexen Fall bleiben wohl offen, auch nach diesem Buch.

Der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel und der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff bezeugen, so Scavo, Bergoglio sei kein Komplize der Junta gewesen. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International finde nichts, was den Papst belastet. Ein Held sei er allerdings auch nicht gewesen, relativiert das der Engländer Robert Cox – er saß 1977 in Argentinien selbst im Kerker. Bergoglio räumte als Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz aber erst 2010 und nur pauschal "Fehler" während der Militärdiktatur ein. Der spanische Jesuit José-Luis Caravias glaubt, "gewisse Kreise des internationalen Kapitalismus" streuten Verdächtigungen, weil Franziskus, "die Wirtschaft" kritisiert und global die Armut anprangere.

Als Papst lebt der Argentinier nun beeindruckend bescheiden; er verzichtet auf kostbare Insignien, predigt in seinen Morgenmessen verständlich wie ein Dorfpfarrer, theoretisierendes Theologisieren ist ihm fremd. Hat das Konklave also ein den Menschen näheres Pontifikat auf Jahre verhindert, als Bergoglio 2005 nur die zweithöchste Stimmenzahl bekam? Und war es auch Wiedergutmachung, als die Kardinäle ihn 2013 schon im fünften Wahlgang dann doch zum Papst machten, auch mit dem Blick auf die schwierigste Phase seiner Vita? Nur ein Persilschein ist dieses Buch jedenfalls nicht. Auch weil es, wie sein Autor versichert, ohne jede Assistenz des Vatikans entstand.

Autor: Gerhard Kiefer

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