Ein argentinischer Tangomusiker – Der Pianist Andrés Linetzky im Porträt

"Diese Mandoline erklang im kalten Winter von Belz. Meine Urgroßmutter spielte sie, dann mein Großvater. Ob sie vorher noch jemand anderem gehörte, wissen wir nicht."

Andrés Linetzky begleitet seinen jüngeren Bruder Matías am Klavier. Der 27-jährige Matías führt in der argentinisch-jüdischen Familie Linetzky die Tradition des Mandolinenspiels fort. Andrés Linetzky wiederum ist mit seinen 38 Jahren einer der besten Tangopianisten Argentiniens. Beide wurden von ihrem Großvater Jossl an die Musik herangeführt, der 1929 mit seinen Eltern aus dem Schtetl in Belz, damals Polen, heute Ukraine, nach Argentinien auswanderte.

"Mein Großvater war schon in Belz Musiker gewesen, neben Mandoline spielte er Geige. Er war noch jung, als er nach Argentinien kam - erst 14 - aber alt genug, um einen musikalischen Schatz mitzubringen. Mein Opa hörte nie auf, uns seine Musik zu übermitteln - die Musik aus Belz. Klezmer war dort eine alltägliche Musik, die bei Hochzeiten und allen möglichen jüdischen Festen zu hören war."

Erzählt Andrés Linetzky.

Im Buenos Aires der Dreißigerjahre wurde sein Großvater Jossl José genannt. Schnell lernte der Immigrant die Musik der neuen Heimat, und begann, in einem Tango-Orchester zu spielen. Seinen Lebensunterhalt aber verdiente er sich als Cuentenik - als Verkäufer, der die bestellte Ware direkt ins Haus lieferte.

In José Linetzkys eigenem Haus erklang Zeit seines Lebens die Musik aus dem osteuropäischen Schtetl. Mehr als 80 Jahre nach der Ankunft des Großvaters in Argentinien hat Andrés Linetzky, der einzige Profimusiker unter den Enkeln, jetzt mit seiner Familie eine Klezmer-CD aufgenommen.

"Diese CD ist eine Zeitreise, und eine Reise zu der Kultur, die mein Opa nach Argentinien mitbrachte. Deswegen heißt sie 'Diaspora in Buenos Aires'."

"Diaspora in Buenos Aires" ist beim deutschen Musiklabel WinterWinter erschienen, das zuvor einige von Andrés Linetzkys mehr als 40 Tango-CDs herausgebracht hatte. Mit dem Pianisten Andrés und dem Mandolinenspieler Matías, der eigentlich Trompeter ist und eine Rockband namens Mahatma Dandys hat, musizieren ihre drei Geschwister: Der Klarinettist und Kardiologe Bruno, der Schlagzeuger und Rechtsanwalt Guillermo, und die Sängerin und Designerin Lucila. Die CD enthält Hausmusik: größtenteils aufgenommen in der Wohnung der Familie Linetzky in Buenos Aires.

Auch die Stimme von Großvater José ist zu hören, dank der frühen Aufnahmen seines Enkels Andrés:

"Als ich sieben oder acht war, begann ich mit meinem Großvater zu musizieren. Er setzte mich ans Klavier und zeigte mir Stücke. Ich habe damals schon verstanden, dass diese Begegnungen einen besonderen Zauber hatten.

Ich fing an, sie auf Band und Kassette aufzunehmen. Einmal erzählte mein Opa die Geschichte eines Saufbolds aus Belz, der immer denselben Walzer fiedelte. Diesen Walzer haben wir dann mit der Familie gespielt."

Auch seine erste Begegnung mit Argentiniens Musikgenre par excellence hat Andrés Linetzky dem Zeide, jiddischer Name für Großvater, zu verdanken. Dieser brachte ihm am Klavier den berühmten Tango La Cumparsita bei. Später studierte Linetzky am Konservatorium und war Schüler der Tango-Legenden Horacio Salgán und Rodolfo Mederos.

Andrés Linetzky ist mit seinem Ensemble Vale Tango und anderen Orchestern um die halbe Welt gereist, er komponiert auch und schreibt Arrangements. Wenn er nicht auf Tournee ist, verbringt der schmale Musiker mit dem ernsten Gesicht so viel Zeit wie möglich mit seiner Frau und der eineinhalbjährigen Tochter Rebecca.

Und trifft sich mit seinen Geschwistern, übrigens auch mit Vater Leonardo, zum häuslichen Musizieren - oft am Schabbat nach dem gemeinsamen Mittagessen. Ermuntert durch das Klezmer-CD-Projekt "Diaspora in Buenos Aires" spielt die Familie in Argentinien nun erstmals auch vor Publikum. Und war anfangs erstaunt über die Reaktionen - Andrés Linetzky:

"Oft sind Besucher unserer Konzerte sehr gerührt, und weinen, wenn sie unsere Musik hören. Leute, die heute 60 oder 70 sind, erinnern sich an ihre Eltern oder Großeltern, die diese Lieder sangen. Nach deren Tod hatten sie sie nie wieder gehört!"

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