Wien/Peking. Als ob Cristina Kirchner momentan nicht ganz andere Probleme plagen würden, die drückende Schuldenlast, die gerade noch abgewendete Staatspleite oder die zahllosen offenen Fragen um den Tod eines Staatsanwalts im politisch-kriminellen Morast. „Wer erschoss Alberto Nisman?“, fragen in Variationen Tag für Tag Oppositionszeitungen wie „Clarín“ die argentinische Präsidentin.
Die 61-Jährige, nach einer Knieverletzung durch eine Plastikschiene gehandicapt, weilte derweil zum Staatsbesuch in China, um Investoren nach Buenos Aires zu locken. Ziemlich unbedacht hat die Twitter-Königin von Argentinien, die auch sonst die Öffentlichkeit via soziale Medien über ihre aktuellen Befindlichkeiten auf dem Laufenden hält, allerdings einen diplomatischen Fauxpas begangen – über den die diskreten Gastgeber in Peking einstweilen aber hinweggesehen haben. Verwundert über den chinesischen Andrang bei einem Wirtschaftsforum spöttelte sie via Twitter über die chinesische Eigenart, statt des rollenden spanischen R ein L auszusprechen: „Interessiert sie nur der Leis (Reis) und das Eldöl (Erdöl)?“
Polarisiertes Land
In Argentinien fielen die Gegner sogleich über die Präsidentin her, obendrein aufgewühlt durch die hochbrisante Affäre um Nisman. Im Sommer hatte der unbequeme Staatsanwalt ja sogar überlegt, einen Haftbefehl gegen Kirchner und ihren Außenminister auszustellen, weil sie die Verstrickung iranischer Diplomaten zu vertuschen suchten, um einen lukrativen Handelsdeal – Getreide gegen Öl – nicht zu gefährden. Zudem verhedderte sich die Präsidentin in Widersprüche: Erst sprach sie von einem Selbstmord Nismans, später von Mord – und machte so die Verwirrung vollends perfekt.
„Es gibt zu viel Verrücktheit und Absurdität, nur mit Humor kommt man da durch“, kommentierte Kirchner den Eklat in Peking. Tatsächlich hatte sich US-Außenministerin Hillary Clinton laut einer WikiLeaks-Enthüllung schon vor Jahren nach dem psychischen und physischen Zustand der argentinischen Staatschefin erkundigt.
Vor allem seit dem abrupten Herztod ihres Mannes, des Ex-Präsidenten Néstor Kirchner, im Jahr 2010 agiert seine Frau zunehmend erratisch. Jahrelang stilisierte sie sich zur „Schwarzen Witwe“ in der Casa Rosada, dem rosafarbenen Präsidentenpalast, den das Peronisten-Paar aus Patagonien einst erobert hatte wie die Peróns. Wegen der Taufe eines Enkels blieb sie dem Fußball-WM-Finale in Rio fern. Sie polarisiert das Land: Die Argentinier lieben sie – oder sie hassen sie.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2015)