Marburg. Sie wirkten wie in Ekstase. Sie warfen dem Publikum immer wieder diabolische und verschwörerische Blicke zu. Sie sahen aus wie Metal-Musiker, die sich bei ihren Instrumenten vergriffen haben. Doch als Flavio Reggiani, Julio Coviello, Eugenio Soria und Fausto Salinas, die vier Bandoneonista des „Orquesta Tipico Fernandez Fierro“, im KFZ auftraten, wurde schnell klar, dass es sich um Virtuosen ihrer Zunft handelte.
Als sei Streetstyle Tango eine ansteckende Krankheit, wahrten die rund 90 Zuhörer während des ersten Songs einen Sicherheitsabstand von drei Metern zur Bühne. Da hatten sie ihre Rechnung doch ohne die Argentinier gemacht, die das Publikum aufforderten, näher zu kommen. „Wir spielen häufig auf Festivals und in großen Hallen. Aber wir lieben auch Konzerte im kleinen Rahmen, bei denen wir dem Publikum nahe sein können, so wie heute“, betonte Sängerin Julieta Laso.
„Es ist eigentlich Ironie. Das Bandoneon wurde nämlich in Deutschland erfunden und von deutschen Auswanderern nach Argentinien gebracht. Wir bringen das Bandoneon also wieder zurück in sein Heimatland“, lachte Laso. Das Bandoneon wurde im 19. Jahrhundert von Heinrich Band aus der Konzertina konstruiert, ist also eine Art Akkordeon. Die Sounds, die die vier Bandoneonista ihren Instrumenten entlockten, waren finsterer Natur und verbreiteten Weltuntergangsstimmung, fügten sich allerdings in die von den Violinisten und Cellisten geschaffene schwermütige Gefühlslage ein.
Fünf veröffentlichte Alben
Das 13-köpfige Orchester gründete sich vor rund 15 Jahren in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires und hat bisher fünf Musikalben veröffentlicht. Zwei davon heißen „Destruccion Masiva“ und „Mucha Mierda“, „Massenhafte Zerstörung“ und „Viel Scheiße“ auf Deutsch. Schon diese Titel verheißen nicht gerade frohsinnige Musik.
Ohnehin hat die argentinische Tangomusik mit ihrer spanischen Verwandten wenig gemein, zeichnet sich durch tiefere Töne und eine dunklere Grundstimmung aus. Das „Orquesta Tipico Fernandez Fierro“ setzt in Sachen Dunkelheit noch einen drauf: Der dissonante Sprechgesang von Julieta Laso handelte von Finsternis, Trauer, Schmerz und Leid der menschlichen Existenz. Die Zuschauer im KFZ waren von dem - wenn auch kurzen - Konzert jedenfalls begeistert und drängten sich nach dem Konzert um den CD-Stand der Band.
von Benjamin Kaiser