Von SHANE ROMIG
BUENOS AIRES – Der Devisenmarkt von Argentinien geht in den Untergrund: Weil die Regierung den Zugang zu Fremdwährungen beschränkt, suchen die Argentinier schwer erhältliche US-Dollar in „cuevas" – in Höhlen. So nennen die Bürger des inflationsgebeutelten Staates geheime Läden und Aktionen, bei denen Kunden den Umtausch ihrer argentinischen Peso in Dollar teuer bezahlen.
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Ein Spürhund des argentinischen Zolls sucht nach versteckten Drogen und US-Dollarnoten in einem Auto, das von Argentinien nach Uruguay verschifft werden soll.
Das zeigt die Geschichte eines „Höhlenbesuchers", der von seinem kürzlichen Erlebnis in einer cueva in einem Vorort von Buenos Aires erzählt. In einem beengenden Antiquitätenladen drückten sich viele Kunden herum, die nicht den Eindruck machten, als ob sie an Lampen aus Buntglas oder an plüschigen Sofas interessiert gewesen seien, sagt er. War man schließlich an der Reihe, wurde man von einem Aufpasser mit unbeweglichem Gesichtsausdruck in das Hinterzimmer des Geschäfts geführt, beschreibt der Kunde.
Dort seien die Dollarsuchenden ihren Geschäften nachgegangen, unter den Augen eines „Höhlenmenschen", der so aussah, als ob mit ihm nicht zu spaßen wäre. Diejenigen, die Dollar besaßen, durften sich glücklich schätzen, sagt der Kunde. Sie bekamen 60 Prozent mehr Peso als zur offiziellen Rate. Die, die Dollar haben wollten, zahlten eine genau so hohe Prämie drauf.
Cristina Kirchner will Kapitalflucht vermeiden
Trotzdem kommen genug, um in den Hinterzimmern Dollar zu kaufen. Die Beliebtheit erklärt sich aus den jüngsten Aktionen der Regierung von Cristina Kirchner. Sie will den Umlauf von Devisen in der Bevölkerung eindämmen und so eine Kapitalflucht aufgrund der hohen Inflation und der Abwertung des Peso verhindern.
Deshalb ist der Kauf von Dollar verboten, wenn das Geld zur Ersparnisbildung genutzt werden soll. Die Behörden machen für Reisen ins Ausland nur kleine Devisenbeträge verfügbar. Wer für seine Reise Fremdwährung benötigt, muss wenige Tage vor seiner Abreise einen Online-Antrag ausfüllen, der an das nationale Finanzamt geht. In der Regel bekommen sie eine Freigabe, jedoch für einen um einiges geringeren Betrag, als sie angefordert haben. Unternehmen brauchen die Genehmigung der Regierung, um Ausrüstung und Materialien zu einem offiziellen günstigeren Wechselkurs zu importieren, der nur für Firmen gilt. Das Finanzamt hat sogar Spürhunde an den Grenzübergängen postiert, die nach Dollar schnüffeln. Sie sollen diejenigen aufspüren, die mit nicht deklarierten Devisen reisen.
Das Resultat: Die Argentinier werden beim Austricksen der Kontrollen immer kreativer. Argentinier, die über genügend Dollar verfügen, reisen ins Ausland und kaufen dort mit ihrer Kreditkarte ein. Die Rechnungen werden in Peso zum offiziellen Wechselkurs umgerechnet. Wieder zu Hause, zahlen sie ihre Kreditkartenrechnungen mit Peso, die sie auf dem Schwarzmarkt gekauft haben. So sparen sie rund 40 Prozent.
Die Regierung reagierte und setzte im vergangenen Monat die Steuer auf Käufe im Ausland via Kreditkarte von 15 auf 20 Prozent. Das soll die Transaktionen unattraktiv machen. Doch bei einer Spreizung von einem offiziellen Wechselkurs bei 5,14 Peso für einen Dollar zum Schwarzmarktpreis von rund 8,44 Peso je Dollar ist dieses Modell immer noch attraktiv genug.
Ebenfalls ein beliebter Trick zur Umgehung des Systems sind Abhebungen mit der Kreditkarte an Bankautomaten in den benachbarten Ländern wie Uruguay oder Chile.
Die Wurzel des Währungsproblems von Argentinien findet sich in einer lockeren Geldpolitik und einer Teuerung, die die meisten Volkswirte, die nicht für den Staat arbeiten, auf eine jährliche Rate von über 20 Prozent taxieren. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums antwortete nicht auf die Bitte nach einer Stellungnahme.
Der drastische Wertverfall des 100-Peso-Geldscheins
Sogar die Argentinier, die nicht auf dem Dollar-Markt aktiv sind, spüren jeden Tag, wie der Wert des einst so kraftstrotzenden 100-Peso-Scheins abgenommen hat. Argentiniens Banknote mit dem höchsten Nennwert ist derzeit mit dem offiziellen Wechselkurs gerade einmal 19,50 Dollar wert. 12 Dollar bekommt man dafür in einer cueva.
Während der 1990er Jahre galt in Argentinien ein fixes Wechselkurssystem, ein Peso wurde auf einen Dollar festgelegt. Ein 100-Peso-Schein war 100 Dollar wert. Jetzt verblasst die Rechnung im Vergleich zu den Banknoten mit höchstem Nennwert anderer lateinamerikanischer Staaten: In Mexiko bekommt man für den 1.000-Peso-Schein rund 81 Dollar, Perus 200-Sol-Schein ist 77 Dollar wert, Brasiliens 100 Real geben 50 Dollar, in Chile bekommt man für den 20.000-Peso-Schein 42 Dollar und die 50.000-Peso-Banknote in Kolumbien ist 27 Dollar wert.
"Vorher konnte man zwei Tage lang von 100 Peso leben. Jetzt kann man mit Ach und Krach fünf Sachen davon kaufen", sagt Hugo Meza, ein Teppichhändler, der in einem Vorort von Buenos Aires lebt. "Hundert Peso im Geldbeutel sind so gut wie nichts."
Ein Kilo Rohschinken kostete im März 2008 noch 29 Peso. Viele Argentinier haben italienische Vorfahren, und fast keine Speise kommt ohne den Schinken aus – vom Sandwich bis zur Pizza. Derselbe Aufschnitt kostet in einer Supermarktkette nun 87 Peso pro Kilo. „Früher hat man noch Wechselgeld bekommen, wenn man mit 10 Peso bezahlt hat", sagt Rodolfo Estevez, Eigentümer eines kleinen Ladens in der Vorstadt Martinez. „Jetzt zahlt man mit 100 Peso und bekommt vielleicht noch ein kleines bisschen zurück."
Das feste Wechselkurssystem kollabierte im Zuge der argentinischen Wirtschafts- und Bankenkrise 2001/2002, die in eine historische Staatspleite mit einer Verschuldung von rund 100 Milliarden US-Dollar kulminierte. Seitdem schwankt der Peso zu anderen Währungen, doch nun interveniert die Zentralbank fast täglich, um die Ausschläge zu verringern.
Präsidentin Cristina Kirchner erwähnt die Inflation nur selten. Und ihre Regierung versucht über Strafzahlungen und der Androhung von Gefängnis einige Volkswirte ruhig zu stellen, die die offiziellen Daten in Frage stellen. Offiziell lag die Jahresrate der Inflation im Februar bei 10,8 Prozent. Zum Vergleich: Nicht-staatliche Ökonomen gehen von rund 25 Prozent aus. Der Sprecher der Präsidentin, Alfredo Scoccimarro, antwortete nicht auf die Bitte nach Stellungnahme.
Viele fordern, dass es Zeit wäre für die Ausgabe einer größeren Banknote. Doch ein Sprecher der Zentralbank sagte, es gebe momentan keine derartigen Pläne. Würde die Druckerpresse angeworfen und Geldscheine mit höherem Wert gedruckt, wäre das ein indirektes Eingeständnis, dass die Inflation ein Problem sei, sagen Regierungskritiker. So lange sich nichts ändert, tragen die Argentinier einfach dickere Geldbündel mit sich herum. Damit zahlen sie ihre Miete und decken ihre täglichen Bedürfnisse ab – in einer Wirtschaft, in der Cash immer noch der König ist.
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