Von Nils Brock
(Santiago de Chile, 18.1.2016, npl).- Seit Dezember hat Argentinien einen neuen Präsidenten, den marktliberalen Mauricio Macri. Kurz vor der Wahl versprach der frühere Bürgermeister von Buenos Aires, die Sozialprogramme der linken Vorgängerregierung fortzusetzen, allerdings demokratischer und mit weniger Personenkult. Doch nun nutzt Macri die parlamentarische Sommerpause, um allein mit Präsidialdekreten zu regieren. Besonders forsch gehe der Konservative dabei im Medien- und Telekommunikationssektor vor, kritisiert der argentinische Journalist Francisco Godinez Galay. Er arbeitet für die NGO „Zentrum Öffentlicher Politik für den Sozialismus“, CEPPAS, und ist dort unter anderem für das Monitoring staatlicher Medienpolitik zuständig.
In Argentinien sind derzeit Parlamentsferien und regiert wird derzeit ausschließlich per Präsidialdekret. Der neue Präsident Mauricio Macri sagt, er handle im Rahmen der demokratischen Normen, die ehemalige Regierung spricht von einem neoliberalen Putsch. Wer hat Recht?
Beide Beschreibungen sind zutreffend. Macri regiert in vielen Fällen mit sogenannten Dringlichkeitsdekreten. Klar, das sind verfassungskonforme Instrumente, aber wenn man sich die Inhalte seiner inzwischen fast 40 Erlasse anschaut, dann ist da keine sonderliche Dringlichkeit erkennbar. Er betreibt ganz klar Missbrauch und regiert mit autoritärer Hand in sensiblen Politikfeldern. Im Bereich der Mediengesetzgebung hatte ihm die Justiz deshalb auch untersagt Veränderungen durchzuführen. Aber er hat sich dieses Einwands mit einem weiteren Dekret entledigt…
Ganz neu ist diese Art des Regierens ja nicht. Seine Amtsvorgängerin Cristina Fernández de Kirchner nutzte diese Möglichkeit ja ebenfalls, um beispielsweise das Budget der Nationalen 200-Jahrfeier gegen den Willen der Opposition zu verabschieden.
Ja, Kirchner hält immer noch den historischen Rekord, was das Regieren per Dekret angeht. Aber das Schockierende ist, was Macri in so kurzer Zeit veranstaltet und welche Reichweite seine Entscheidungen haben. Er hat staatliche Institutionen abgeschafft, Ministerien gegründet und Richter ernannt. Das ist schon ein ziemlicher Schock.
Vor allem der Angriff auf die Medienregulierung hat für heftige Proteste gesorgt. Warum?
Diesem Thema hat die neue Regierung die meisten Erlasse gewidmet. Zwei unabhängige Regulierungsbehörden wurden geschlossen und dafür ein Kommunikationsministerium geschaffen, das direkt der Regierung verpflichtet ist. Ein einziges Organ kontrolliert nun alle Medien- und Telekommunikations-Angelegenheiten. Die neuen Spielregeln sind bezeichnend. Radio- und TV-Lizenzen können wie Waren gehandelt werden, was vorher nicht möglich war. Außerdem ist es Medienunternehmen künftig erlaubt, bis zu 15 TV-Kanäle zu kontrollieren. Wem soll das nützen außer großen Konglomeraten wie der Clarin-Gruppe?
Das Vorgehen erscheint sehr methodisch. Gibt es Hinweise darauf, dass Medienunternehmen an dieser legalen Neuordnung mitgeschrieben haben?
Klare Beweise gibt es nicht. Doch die Sympathien zwischen einer Regierung mit einem Unternehmerprofil und den großen wirtschaftlichen Gruppen des Landes sind offensichtlich. Viele Regierungsvertreter sitzen in Vorständen, zum Beispiel beim Mobilfunkunternehmen Telefonica oder eben Clarin. Die von letzterem kontrollierten Tageszeitungen sind entsprechend parteiisch. Sie kommentieren die jüngsten Ereignisse als eine Normalisierung der Kommunikationsmedien, sprechen vom Ende des Krieges gegen den Journalismus.
Mit welchen Argumenten versuchen Regierung und affine Medien denn, diesen Kurs der breiten Bevölkerung schmackhaft zu machen?
Die Regierung macht Politik, indem sie ihr Handeln als ideologiefrei ausgibt, obwohl sie äußerst konsequent eine Marktlogik in alle staatlichen Räume einführt. Der Präsident und seine Minister bestreiten, Politiker zu sein. Ihre Argumente bestehen deshalb in Forderungen wie „Wir brauchen endlich ein schnelleres Internet“, „Handys müssen weniger kosten“. Das sind ihre Trojanischen Pferde, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen, die dann auch prompt sagt, ’stimmt, das Internet ist Scheiße, die Handys sind der reinste Schrott.‘
Mit ähnlich griffigen Forderungen wird auch gegen die öffentlichen TV-Sender Stimmung gemacht, die als Sprachrohre des Kirchnerismus diffamiert werden. Es gab bereits Entlassungen, eine Satiresendung wurde abgesetzt, gedroht wird auch mit finanziellen Kürzungen. Was steht bei diesem Konflikt für die Meinungsfreiheit auf dem Spiel?
Zwischen Staatsfernsehen und öffentlich-rechtlichen Sendern zu unterscheiden ist nirgends in Lateinamerika leicht. Ich denke das ist eine Mischung aus fehlendem Verständnis und der ständigen Versuchung, die Kanäle für Regierungszwecke zu nutzen. Auch wenn die allgemeine Einschaltquote eher gering ist, haben die Sender durchaus eine Bedeutung, denn sie sind im Gegensatz zu vielen kommerziellen Sendern auch im Landesinneren zu empfangen. Auch der viel gehörte öffentliche Radiosender Radio Nacional garantiert einen Zugang zu Informationen. Macri versprach vor der Wahl, den Einfluss der Politik auf diese Sender und weitere wichtige Institutionen wie den Wissenschaftspark Tecnopolis oder das Kirchner-Kulturzentrum zu begrenzen. Im Moment entlässt er jedoch vor allem Kirchneristas, ohne strukturell etwas für die redaktionelle Unabhängigkeit zu tun.
Das Kirchner-Kulturzentrum in Buenos Aires soll ja ein wirklich spannendes Projekt sein. Aber allein die Namenswahl erleichtert der neuen Regierung ja ungemein, Kündigungen und Kürzungen zu legitimieren.
Ja das war natürlich eine Steilvorlage. Andererseits schlug die frühere Regierung aus dieser Personalisierung und Polarisierung des öffentlichen Lebens auch stets politisches Kapital. Die Clarin-Gruppe wurde als Oberschurke aufgebaut, die Macristen und das Agrobusiness fungierten als komplementäre Antagonisten. Doch dieser dauernde Konfrontationskurs war ein Fehler des Kirchnerismus und Macri nutzt nun die Stunde, dass mit gleicher Münze zurückzuzahlen.
Und wie steht es um die argentinische Beteiligung an Telesur? Der von sieben Ländern Südamerikas finanzierte TV-Sender ist ja die Medienplattform der Sozialisten des 21. Jahrhunderts. Hat der Sender viele Zuschauer*innen in Argentinien? Wird die Regierung Macris den Stecker ziehen?
Die Bedeutung von Telesur in Argentinien ist nicht sonderlich groß. Die Reichweite ist eingeschränkt, weil Clarin den Großteil des Kabelnetzwerks kontrolliert und den Sender nicht ins Netz einspeist. Also ist Telesur nur bei kleineren Kabelanbietern und im terrestrischen Digital-TV empfangbar. Die Unterstützung von Telesur mit öffentlichen Geldern aus Argentinien war jedoch immer umstritten. Denn im Programm gibt es kaum Raum für die argentinische Realität. Von einem von Diego Maradona zur WM 2014 moderierten Programm abgesehen, wird der Großteil der Inhalte in Venezuela produziert. Und sicher, die chavistische Ausrichtung des Senders spielt Macri nun in die Hände, um die öffentlichen Gelder zurückzuziehen.
Der gesamte politische Konflikt der letzten Jahre wird immer als eine Konfrontation zwischen der Regierung Kirchner und der Mediengruppe Clarin erzählt. Es gibt doch sicher auch andere einflussreiche Akteur*innen auf dem Medien- und Kommunikationsmarkt, den Mobilfunkanbieter Telefonica hast Du ja bereits erwähnt.
Natürlich geht es nicht nur ums Fernsehen, auch in Argentinien findet ja eine mediale Konvergenz statt. An sich ist eine Verknüpfung unterschiedlicher Kommunikationssysteme ja nichts Schlechtes, problematisch ist aber, wer sich da mit wem zusammentun will. Wir erleben in Argeninien nicht den Aufstieg von start ups, vielmehr drängen Clarin und Co. in die neuen Märkte, indem sie crossmediale Dienste anbieten. Clarin war immer das stärkste Medienunternehmen, Telefonica der Primus im Mobilfunksektor und sie waren stets interessiert, ihre Angebote zu koppeln und Pakete anzubieten. Aber das bisher gültige Mediengesetz machte ihnen genau das unmöglich, um sektorübergreifende Monopole zu verhindern.
Ja, das Mediengesetz verbietet das, aber das ebenfalls von der Vorgängerregierung Kirchner erlassene Gesetz zu digitaler Kommunikation sah solche Fusionen doch sehr wohl vor?
Ja, das war immer widersprüchlich und da sieht man auch, welchen Einfluss die Lobby der Telekommunikationsunternehmen schon seit längerer Zeit hat. Die hat während der Regierung von Cristina Kircher stark an Einfluss gewonnen, weil sie auf diese Weise ein Gegengewicht zur Clarin-Gruppe schaffen wollte. Clarin aber konterte, kaufte sich bei Nextel ein und wurde auf einen Schlag zum viertstärksten Akteur auf dem Telekommunikationsmarkt. Da das Mediengesetz das eigentlich verbot, begann ein langer Rechtsstreit, der bis zum Ende der Kirchner-Amtszeit anhielt. Doch da die neue Regierungsbehörde bereits die Barrieren für sektorübergreifende Investitionen und Fusionen aufgehoben hat, müssen sich die Großen auf dem Markt keine Sorgen mehr machen. Die argentinische Telefonica-Tocher muss nicht länger so tun, als gehöre ihr TV-Sender Telefe dem spanischen Mutterkonzern. Und Clarin kann künftig offen als Eigentümer des Internetproviders Fibertel auftreten, der ja durch die Fusion mit Cablevisión de facto eh schon zur Clarin-Gruppe gehörte. Den Unternehmen fehlt es nicht an Kapital, den Markt weiter zu erobern. Telekommunikationsunternehmen ohne Gewinnabsichten gibt es in Argentinien nur wenige. Und die werden es künftig noch schwerer haben.
Welche Bündnisse gibt es denn? An der Ausarbeitung des 2009 verabschiedeten Mediengesetzes waren ja 230 staatliche, private und soziale Organisationen beteiligt. Was ist nach der jahrelangen Polarisierung von dieser vielfältigen Plattform übrig geblieben?
Die sogenannte progressive Regierung Kirchner hat es gut verstanden, sich die Forderungen der sozialen Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen anzueignen und sie zugleich zu spalten. Das bunte Bündnis für die Demokratisierung der Kommunikation besaß anfangs viel Legitimität, aber die Meisten der Organisationen wurden im Laufe der Zeit sehr regierungskonform, der anfängliche Konsens löste sich auf. Erst zum Ende der Regierungszeit der Kirchners fand wieder eine gewisse Annäherung statt. Die vier wichtigsten Netzwerke alternativer und Community Medien beispielsweise, die lange Zeit getrennte Wegen beschritten hatten, setzten sich endlich wieder zusammen, um die gemeinsame Forderung nach einer stärkeren legalen Anerkennung dieser unabhängigen Radio- und TV-Sender durchzusetzen.
Welche negativen Effekte für Community Radios sind zu befürchten, wenn die Präsidialerlasse im Bereich der Medienregulierung Bestand haben sollten?
Es ist immer noch schwer, das ganze Ausmaß zu überblicken und auch einzuschätzen, bis an welchen Punkt die Modifikationen vorangetrieben werden sollen. Negativ wird sich in jedem Fall auswirken, dass alle Paragraphen, die die Medienkonzentration einschränkten und künftig einschränken sollten, abgeschafft worden sind. Je mehr Radio- und TV-Lizenzen Medienunternehmen nun horten werden, desto weniger Platz würde für unabhängige Stimmen oder gar unabhängige Medien bleiben. Und ich denke auch nicht, dass die neue Regierung besonders an der Kritik alternativer und Community Medien interessiert ist oder ihnen viel Freiraum geben wird. Wenn bereits die vorherige Regierung uns nicht sonderlich viele Instrumente zur Verfügung gestellt hat, um uns in der Praxis zu verteidigen, dann sehe ich da künftig noch mehr Probleme. Ich denke, künftig Frequenzen zu bekommen wird sicher schwerer, die Arbeitsbedingungen komplizierter. Vielleicht kehren wir sogar in Zeiten zurück, in denen Sendeequipment konfisziert wurde. In jedem Fall stellen wir uns auf turbulente Zeiten und wenig Garantien für unsere Arbeit ein.
Und die Regierung hat ja bereits begonnen, ihre Angriffe zu rechtfertigen. Die bisherige Medienregulierung mindere die Qualität kommunikativer Dienstleistungen, verhindere Wettbewerb, Investitionen und Digitalisierung, schade Märkten und Fortschritt. Internationale Beobachter*innen sehen das ein bisschen anders…
Ja, die kritischen Wortmeldungen des Sonderberichterstatters für Meinungsfreiheit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission CIDH waren zum Beispiel sehr wichtig. Diese Unterstützung wird ein Schlüssel sein, um dem aktuellen Konflikt beizukommen. Bisher interessierte es Macri nicht, dass soziale Organisationen in Argentinien seine Exekutive rügen. Aber wenn die CIDH in ihren Berichten die Modifikationen des Mediengesetzes als Missbrauch benennt, dann tut das weh.
Jetzt, wo bestehende Gesetze einfach so weggewischt werden, wird da seitens der sozialen Bewegungen auch Selbstkritik laut, sich in den letzten Jahren zu sehr auf den legalen Kampf konzentriert zu haben. Ein bisschen ziviler Ungehorsam hätte vielleicht Tatsachen schaffen können, denen auch mit Dekreten nicht so leicht beizukommen ist…
Es gibt Selbstkritik, aber die findet nicht öffentlich statt. Viele soziale Bewegungen und politische Initiativen sind desillusioniert und sagen, nach all den Jahren scheinen wir am Ende leer auszugehen. Einige Medieninitiativen wie der Weltverband der Community Radios Amarc oder das Nationale Netzwerk Alternativer Medien RNMA sehen sich nun in ihrer fortwährenden Kritik an der unzureichenden Umsetzung des Mediengesetzes bestätigt. Und auch meine Organisation hat seit 2009 kontinuierlich Mängel der Demokratisierung der Kommunikationsmittel beanstandet. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass wir nun erstmal versuchen sollten, die Fortschritte, die wir erzielt haben zu verteidigen, auch wenn viele Ideen auf der Hälfte des Weges stecken geblieben sind.
Macri hat ja noch ein paar Wochen Zeit, bis die Gerichte Ende Januar und das Parlament Anfang März ihre Arbeit wieder aufnehmen. Wird es weitere Dekrete hageln?
Die Gefahr besteht, aber ich denke, viele der Erlasse werden im Kongress keine Mehrheit finden. Vor allem bei den Dringlichkeitserlassen verlangt das Gesetz, dass sie nachträglich vom Parlament bestätigt werden. Doch auch dafür wird sich die Regierung sicherlich eine Strategie zurechtlegen. Es wird schwierig sein, alles, was jetzt jenseits parlamentarischer Kontrolle geschieht, ungeschehen zu machen. Auch die Medienunternehmen werden weiter Fakten schaffen, neue Lizenzen erstehen, auch crossmedial im Telekommunikationsbereich. 2016 droht ein einziger Rechtsstreit zu werden. Zeit um weiter zu Regieren und Geschäfte zu machen.
Als Macri noch Bürgermeister von Buenos Aires war, schien er sehr empfänglich für Meinungsumfragen. Ist eine kritische Masse in Sicht, die sich in den nächsten Wochen jenseits des Kirchnerismus gegen den neoliberalen Regierungskurs mobilisieren wird?
Ich bin optimistisch, dass soziale Organisationen und Netzwerke viel Lärm schlagen werden. Vielleicht interessiert das Macri erst mal nicht, er hat sich ja auch über die Justiz hinweggesetzt. Aber eine breite Oppositionsbewegung wäre für ihn auf Dauer problematisch. Es gab ja schon einige Demonstrationen. Ich stelle mich jedenfalls auf turbulente Zeiten ein, auf soziale Kämpfe. Und wir müssen dem bisherigen Kurs der Regierung auch endlich Grenzen setzen.
Dieses Interview erschien zuerst am 14. Januar 2016 in einer kürzeren Fassung in der Wochenzeitung Jungle World.
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