Insgesamt dominiert in Südamerika nach wie vor die politische Linke, soviel steht auch nach den Wahlen in Venezuela und Argentinien fest. Doch in der Mehrheit der Länder steckt in sie in der Krise. In Argentinien hat der Linksperonismus gerade die Macht verloren, in Venezuela musste der sozialistische Chavismo eine schwere Niederlage hinnehmen, und in Brasilien ist nicht sicher, ob Präsidentin Rousseff ihre Amtszeit zu Ende bringen kann. Auch die Popularität ihrer Amtskollegen in Chile und Peru ist abgesackt. Gemeinsamkeiten springen ins Auge: Wo die Linke schwächelt, schwächelt auch die Wirtschaft. Die venezolanische liegt am Boden, die brasilianische steckt in der Rezession, die argentinische Wirtschaft stagniert, und das Wachstum Chiles und Perus ist geschrumpft.
Das ist nicht die einzige Parallele. Wo die Linke derzeit in Wahlen und Umfragen abgestraft wird, sind die Bürger über Korruption und persönliche Bereicherung der Regierenden empört, oder sie haben autoritäre Regierungsformen satt. Die Wahlsiege der Opposition in Argentinien und Venezuela bedeuten keinen Triumph einer beinharten rechten Ideologie, sondern drücken vor allem den Wunsch der Bürger nach neuen Rezepten aus, um die drängenden politischen und ökonomischen Probleme zu lösen.
Von dem Wandel, den der argentinische Präsident Macri, ein Wirtschaftsliberaler, versprochen hat, erhoffen sich die meisten seiner Wähler ganz sicher keine Rückkehr zur neoliberalen Politik der neunziger Jahre, die Argentinien und vielen anderen Ländern Lateinamerikas so viel Schaden zufügte: hohe Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Armut. Eine Mehrheit der Argentinier wünscht sich heute eine pragmatische, möglichst ideologiefreie Politik. Wachstum, Entwicklung, Arbeit hat Macri in seiner Antrittsrede angekündigt, und: "null Armut". Ein enormes Versprechen. Wie nahe er seiner Umsetzung kommt, vor allem daran sollte man den Präsidenten in vier Jahren messen.
Mit politischen Blockaden ist nichts zu gewinnen
In Argentinien und anderen Ländern Südamerikas werden Politik und Gesellschaft von tiefen Gräben durchzogen. Nicht einmal auf das Protokoll der Amtsübergabe konnten sich Macri und seine Vorgängerin Kirchner einigen – der rein symbolische, aber für eine Demokratie wichtige Akt fiel ins Wasser. Macris Aufruf zur Zusammenarbeit war mehr als eine Geste: die Regierung ist auf Unterstützung der Opposition angewiesen, sie hat im Kongress keine eigene Mehrheit. Dass die meisten der unterlegenen Präsidentschaftskandidaten gestern Macris Einladung annahmen und sich mit ihm trafen, ist ein positiver erster Schritt. Mit politischen Blockaden wird der Kampf gegen Armut, ungleiche Bildungschancen und Drogenkartelle nicht gelingen.
Auch Venezuela mit seiner dramatischen Wirtschaftskrise wäre auf politische Kooperation angewiesen. Die Opposition errang zwei Drittel der Parlamentssitze, weil sie ihre Kräfte von rechts bis links bündelte. Gemeinsam könnte sie sogar versuchen, Präsident Maduro seines Amtes zu entheben. Vor allem er hat es in der Hand, wie sich das politische Klima in Venezuela entwickelt. Respekt für das Parlament ist gefragt, und eine Freilassung der politischen Häftlinge. Doch Maduros aggressive Rhetorik der vergangenen Tage weckt wenig Hoffnung. Wie verantwortungsvoll die Opposition mit ihrer neuen Macht umgehen wird, hängt vor allem davon ab, ob der gemäßigte Flügel die Oberhand über den radikalen Teil behalten wird.
Wird das politische Pendel in Südamerika nun von einer linken zu einer rechten Dominanz schwingen? Das ist noch nicht abzusehen. In Bolivien, Uruguay und Ecuador haben die Präsidenten zwar Probleme, aber sitzen derzeit fest im Sattel. Welche Regierungen die Geschicke Südamerikas künftig leiten werden, hängt wohl weniger von der politischen Couleur ab, als von ihrer Fähigkeit, die von sinkenden Rohstoffpreisen gebeutelten Wirtschaften zu sanieren, die sozialen Errungenschaften zu erweitern und Übel wie die Korruption auszumerzen.