Die jeverschen Wurzeln entdeckt

Zwei junge in Argentinien geborene Juden heiraten und wandern 1974 nach Israel aus, um dem Antisemitismus des rechtsnationalen Regimes in dem südamerikanischen Land zu entgehen. Viele Jahre später – inzwischen haben sie zwei Kinder und neun Enkel – erfahren Rafael (65) und Claudia de Levie (62), dass ihre Vorfahren in Jever und Norden lebten und dass ihre Familien an die 70 Opfer in polnischen Vernichtungslagern zu beklagen hatten. „Darüber hatten die Alten mit uns nie gesprochen“, berichtete Rafael de Levie.

Das Paar aus dem südlich von Tel Aviv gelegenen Ashdod hat über ein Forschungsprojekt in Norden von seinen friesischen Wurzeln erfahren. Almut Holler von der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Synagogenweg in Norden hatte recherchiert, dass Claudia de Levie, geb. Wolff, einen in Jever geborenen Ururgroßvater hatte. Rafael de Levie entstammt einer erfolgreichen jeverschen Viehhändlerdynastie. Almut Holler besuchte am Montag mit den de Levies die Marienstadt, wo Pastor Volker Landig und der Historiker Hartmut Peters von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ihnen die Stadt und „jüdische Orte“ der Erinnerung zeigten. „Wir sind völlig begeistert von Jever, die Stadt ist wunderschön“, schwärmte Claudia de Levie. Frieslands Erste Kreisrätin Silke Vogelbusch empfing die Gruppe zu einer Teestunde im Kreisamt. Sie ermutigte das Paar, von seinen jeverschen Ahnen zu erzählen.

Rafael de Levies Urgroßvater Hartog ist aus den Niederlanden nach Jever gekommen, wo der Viehhändler einer der großen Förderer der Synagoge wurde. Seine Söhne Alfred und Siegfried besuchten das Mariengymnasium und kämpften im Ersten Weltkrieg, Siegfried fiel. Nach ihm benannte Alfred de Levie seinen Sohn – den Vater von Rafael.

Noch vor der braunen Machtübernahme übersiedelte die Familie erst nach Bremen und in die Nähe von Cuxhaven, dann nach Argentinien, wo jüdische Familien nach dem Krieg quasi Tür an Tür mit den Tätern des NS-Regimes leben mussten. Obwohl sogar Urgroßmutter Alwine deportiert und ermordet worden war, sprach man in der Familie nicht über die eigenen Opfer.

Der Kontakt mit Almut Holler, die inzwischen in Norden eine Ausstellung über die Familien Wolff und Samson vorbereitet, wurde für die de Levies zum Fenster in die eigene Familiengeschichte – genauer: in die Geschichten beider Familien, der Wolffs und der de Levies. Die Recherchen und das Fachwissen Landigs und Peters’ zur Geschichte der jeverschen Juden waren dem Ehepaar eine große Hilfe bei der Erkundung der Marienstadt.

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