Mitte Dezember hat die Regierung des gerade gewählten neuen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri einen mutigen Plan veröffentlicht, um der angeschlagenen und durch hohe Inflation geplagten Wirtschaft zu neuem Leben zu verhelfen. Angesichts der erheblichen Krise sollte man die Bedeutung dieses Schrittes nicht unterschätzen – nicht nur für Argentinien, sondern auch für andere Länder, deren Politiker nach Hinweisen Ausschau halten, wie sie ihre eigenen wirtschaftlichen Probleme lösen können.
Zum AutorMohamed A. El-Erian ist leitender Wirtschaftsberater bei Allianz, dem Mutterkonzern von Pimco, wo er von 2007 bis 2014 als CEO und Co-CIO tätig war. Weiterhin ist er Vorsitzender des globalen Entwicklungsrats von US-Präsident Barack Obama.
Jahrzehnte falscher Wirtschaftspolitik haben zu einer erheblichen Schwäche der argentinischen Wirtschaft geführt. Frühere Regierungen hatten versucht, durch die Einführung ineffizienter Kontrollen schwierige politische Entscheidungen zu vermeiden und grundlegende Probleme zu verschleiern. Dies hatte eine krasse Fehlverteilung von Ressourcen bewirkt und die Fähigkeit Argentiniens untergraben, genug Deviseneinkünfte zur Deckung der Importrechnungen zu erwirtschaften, was eine Warenknappheit zur Folge hatte. Durch den aktuellen Verfall der Rohstoffpreise wurde die Lage noch verschärft. Das noch verbleibende Wachstumspotenzial wurde abgewürgt, die Inflation angeheizt, die Armut verschlimmert, die wirtschaftliche Unsicherheit verstärkt und das Finanzsystem destabilisiert.
Theoretisch haben Regierungen in solch einer Lage fünf grundlegende Möglichkeiten, die Krise zu bewältigen und eine Steigerung von Wachstum und Beschäftigung zu erreichen:
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Anzapfen der finanziellen Reserven und des Wohlstands aus besseren Zeiten.
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Kreditaufnahme im In- und Ausland.
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Direktes Kürzen der öffentlichen Ausgaben und Anreize zur Verringerung der Ausgaben des privaten Sektors.
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Höhere Einkünfte durch Steuern und Abgaben sowie aus dem Ausland.
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Verwenden von Preismechanismen zur Beschleunigung der wirtschaftlichen Anpassung sowie in den Handels- und Finanzbeziehungen zu anderen Ländern.
Klug entworfen und umgesetzt, können diese fünf Massnahmen nicht nur zur Lösung akuter wirtschaftlicher und finanzieller Probleme beitragen, sondern auch dazu, die langfristigen Bedingungen für höheres Wachstum, mehr Arbeitsplätze und grössere finanzielle Stabilität zu schaffen. So können sie die Ausbreitung wirtschaftlicher Belastungen der Bevölkerung eindämmen, die verletzlichsten Bereiche schützen und zukünftige Generationen auf eine bessere wirtschaftliche Grundlage stellen.
Gutes Timing ist entscheidend
In der Praxis allerdings treffen die Regierungen oft auf Hindernisse, die der effektiven Einführung dieser Massnahmen im Wege stehen. Wenn die Politiker nicht aufpassen, können sich insbesondere zwei Probleme gegenseitig verstärken und die Wirtschaft in den Abgrund treiben:
Das erste Problem tritt auf, wenn die oben genannten Möglichkeiten durch echte oder wahrgenommene spezifische Faktoren blockiert werden. Manche Massnahmen könnten bereits erschöpft sein: Vielleicht hat das Land keine Rücklagen mehr, die angezapft werden können, oder es mangelt an willigen Kreditgebern. Die Einführung anderer Massnahmen wie beispielsweise die Anpassung der öffentlichen Haushalte muss sehr vorsichtig vonstattengehen, um eine Unterminierung der Wachstumsziele zu vermeiden.
Das zweite Problem ist der richtige Zeitpunkt, denn die Regierungen müssen sicherstellen, dass die Massnahmen ihre Wirkung in der richtigen Reihenfolge entfalten. Für eine effektive Implementierung müssen Schlüsselfaktoren wirtschaftlicher und finanzieller Interaktion verstanden werden, was nicht nur auf Feedback-Effekte zutrifft, sondern auch auf Verhaltenseffekte der Reaktionen des privaten Sektors. Und dies alles muss eng mit geplanten Reformen der Angebotsseite koordiniert werden, die ein robustes, dauerhaftes und integratives Wachstum fördern.
Macris Kurs ist die Ausnahme
Und in diesem Punkt ist der Ansatz der Macri-Regierung eine historische Ausnahme. Macri hat seine Präsidentschaft mit einem Knall angetreten und hat eine vielversprechende – und sehr riskante – Strategie entwickelt, die anstelle der fünf Massnahmen zur Nachfrageregulierung und Finanzunterstützung eine aggressive Preisliberalisierung und den Abbau quantitativer Kontrollen in den Mittelpunkt stellt. Bereits jetzt wurden die meisten Exportsteuern und Währungskontrollen abgeschafft, die Einkommensteuern gesenkt und der Wechselkurs freigegeben, was eine sofortige Abwertung des Pesos um 30% ermöglichte.
In der Geschichte gab es nur wenige Regierungen, die eine solche Art von Massnahmen eingeführt haben, und schon gar nicht mit dieser Dynamik. Meistens wurde besonders mit der vollständigen Freigabe der Währung gezögert. Wenn Regierungen ähnlich vorgegangen sind, dann meist nach – oder zumindest gemeinsam mit – Finanzspritzen und Bemühungen zur Eindämmung der Nachfrage.
Die Grund dafür liegt auf der Hand: Durch geduldiges Vorbereiten der Liberalisierung wurde gehofft, den ersten Inflationsschub begrenzen und damit einen Teufelskreis aus Lohnerhöhungen und Kapitalflucht verhindern zu können. Diese Probleme, so wurde befürchtet, könnten die Reformmassnahmen aus der Bahn werfen und die für weitere Massnahmen nötige Unterstützung der Öffentlichkeit untergraben.
Um die argentinische Wirtschaft dauerhaft und nachhaltig wiederzubeleben, muss die Macri-Regierung schnell Finanzquellen aus dem Ausland finden, zusätzliche Ressourcen im Inland aktivieren und die Strukturreformen vertiefen. Sollte dies gelingen, könnte diese mutige Wirtschaftsstrategie heute und in Zukunft zu einem Modell für andere Länder werden. Sollte der Ansatz aber – aufgrund falscher Zeitplanung oder öffentlichen Widerstands – scheitern, könnten andere Länder umso mehr zögern, Kontrollen zu lockern und ihre Währung vollständig zu liberalisieren. Die politische Verwirrung, die daraus entstehen würde, könnte schädlich für alle sein.
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