Der Wahnsinn aus Kabine 5

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04. Juli 2015 00:00 Uhr

Goooooooooooooooool!

Bei der Fußball-Amerikameisterschaft, die am Samstagabend in Santiago de Chile entschieden wird, gehört ein Radiokommentator zu den populärsten Akteuren.


  1. „Gooooooool“: Claudio Palma im Studio beim 1:0 gegen Uruguay BZ Foto: BZ

Sie nennen ihn "die Stimme des Tores": Claudio Rodrigo Palma, 46, geboren in Chiles Hauptstadt Santiago, ist der heimliche Star der Copa America, der amerikanischen Fußballmeisterschaft in seinem Heimatland. Am Samstagabend werden die 18 Millionen Chilenen, die kein Ticket ergattern konnten, für das große Finale gegen den übermächtigen Erzrivalen Argentinien (22 Uhr MESZ), das Radion wieder auf volle Lautstärke stellen. In den Haciendas, in den Hütten der Armenviertel und bis in die Villenviertel Santiago hinein werden sie hoffen, dass Palma wieder in seiner unnachahmlichen Art den Sieg über die Superstars zelebriert. So wie er es beim historischen 2:0-Sieg über Spanien bei der WM 2014 tat, ein Video, das schon eine Million mal angeklickt wurde.

Nicht Arturo Vidal, nicht Alexis Sanchez oder Claudio Bravo rühren die Herzen der Chilenen bei der Copa America in Chile, es ist der Mann aus Kabine 5 im Estadio Nacional in Santiago. Die Nation, in den vergangenen Jahrzehnten schwer getroffen von einer Militärdiktatur, von Erdbeben und Tsunamis, saugt die Schreie dieses Kommentators des Kanals T13 auf, als sei es der kollektive Ruf einer Befreiung. Es sind Momente für die Ewigkeit, für die Fußball- und Fernsehgeschichte, die der Kommentator Claudio Palma da fabriziert: "Scheiße Chile, Gooooooooool", beginnt seine Hommage an den Torschützen und dann ruft er: "Kommt ihr Unterdrückten, ihr Opfer der Erdbeben, ihr Missbrauchten, lasst uns alle zusammen feiern."

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Youtube: Der Torschrei von Claudio Palma Der Mann trägt kurzes Haar, eine orangefarbene Senderkrawatte und ein schlichtes weißes Hemd. Von hier oben im vierten Stock jenes Stadions – in dem während der Schreckensherrschaft von General Augusto Pinochet die Menschen zusammengetrieben wurden und vor Angst und Folterschmerzen schrien – genau hier zeigt Palma seiner Nation, dass es eben auch anders geht. Diesmal sind es Schreie der Freude und des Glücks über einen Siegeszug, der am Samstag an dieser Stelle mit dem ersten Titel bei einer Copa America zu einer historischen Stunde werden soll.

Es ist die Kraft des Fußballs, die das seit der Diktatur lange gespaltene Volk ausgerechnet hier wieder zusammenbringt. Palmas Torschreie werden in den sozialen Netzwerken zu Hunderttausenden angeklickt; legendär sein Torjubel beim 1:0-Sieg im Viertelfinale über Uruguay (Youtube-Link unten), als Palma quasi die ganze chilenische Geschichte in diesen Schrei hineinpackte und als ihm nach 90 Sekunden verbaler Ekstase am Ende die Stimme wegbricht. Eist ein emotionaler Vulkanausbrauch, den Reporter Palma da abliefert, nicht wirklich geprobt, aber eben auch wohl kalkuliert.

Ein wenig gehört dazu auch die Gefühlslage eines Spiels, und die war beim Sieg über Uruguay mit zwei Roten Karten und zahlreichen Auseinandersetzungen auf dem Rasen ohnehin schon angespannt. Es ist der Jubel einer Nation, die lange nur der Underdog war.

Die Mapuche, die indigenen Ureinwohner, warten noch heute darauf, dass ihre eigentlich verbrieften Rechte auch endlich Realität werden. Doch auch sie feiern mit, wenn Eduardo Vargas trifft und Palma brüllt – zum Teil auch nationalistisch und wenig respektvoll gegen den Gegner. Zum Teufel mit der journalistischen Distanz, sagt er in diesem Moment. Die Menschen lieben ihn deswegen. Am Samstag geht es deswegen gegen Argentinien nicht nur um ein Fußballspiel. Es geht um auch um die chilenische Seele. Und genau das macht die Mannschaft von Trainer Jorge Sampaoli so gefährlich für die Weltstars Lionel Messi, Angel di Maria oder Javier Mascherano.

Chile wird in dem Stadion, in dem auch bei diesem Spiel wieder ein ganzer Block freibleibt, um an die Folteropfer aus der Militärdiktatur zu erinnern, den Kampf des David gegen Goliath zelebrieren. Gelingt das, wird auch Palmas Torschrei aus Kabine 5 zu einem Moment der Fernsehhistorie.

Autor: Tobias Käufer

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