Der Mann, der den Veltliner nach Argentinien bringt

Mit den Brennnesseln, die da zwischen den Reben von Chardonnay und Syrah wachsen, ist das so eine Sache: Denn denen ist es hier in Mendoza eigentlich viel zu heiß. Obwohl man angesichts der schneebedeckten Gipfel der Anden im Hintergrund anderes erwarten würde, jammern die Bewohner der Provinz Mendoza im Osten Argentiniens schon im Frühling über Temperaturen von 30 Grad und mehr. Heute hat es 34 Grad, und Andrej Razumovsky stehen die Schweißperlen auf der Stirn, als er erklärt, warum die Brennnesseln keinesfalls vertrocknen sollten: Er braucht sie, damit sein Weingarten damit gedüngt werden kann.

Seit fast zehn Jahren betreibt der Österreicher am Rand der Ortschaft Ugarteche in dem argentinischen Weinbaugebiet mit seiner Finca Alpamanta (Quechua für „Liebe zur Erde“) ein biodynamisches Weingut. Mit diesem Zugang ist er eine ziemliche Ausnahme: Schon Bio-Wein wird in Argentinien nur sehr wenig produziert. Biologisch-dynamischen Weinbau betreibt hier kaum ein Dutzend Winzer. In Österreich ist diese Art des Weinbaus nicht mehr ganz so selten. Klar ist aber: Die Ideen des Philosophen und Esoterikers Rudolf Steiner – auf ihn geht übrigens auch die Waldorfpädagogik zurück – sind mitunter komplizierter als klassische Bio-Landwirtschaft.

Kamille statt Chemie. Statt Chemie gibt es hier mit Mist gefüllte Kuhhörner und Kamillenblüten in Hirschblasen, die zunächst in der Erde vergraben werden, um sie dann in homöopathischen Dosen in den Kompost zu mischen oder in Wasser gelöst im Weingarten zu verteilen. Die Brennnesseln sind die Basis für ein anderes sogenanntes Präparat, genauso wie Löwenzahn, Schafgarbe oder Baldrian, die getrocknet in einem der vier kleinen, schlammfarbenen Gebäude am oberen Rand des Weinguts lagern. Außerdem wird mit Schafmist, Eierschalen oder Quarz gedüngt. „Vor allem die älteren Arbeiter waren skeptisch, die haben ja ihr Leben lang mit Chemie gearbeitet“, sagt Razumovsky. „Aber es wirkt.“

Wenn der 48-Jährige in der Vormittagshitze durch sein 30 Hektar großes Gut schreitet und über seinen Wein erzählt, hat es den Anschein, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Auch, wenn Razumovsky mit seiner cremeweißen Hose, ebensolchem Hemd und Strohhut, den er fürs Foto dann doch lieber abnimmt, nicht wie ein klassischer Weinbauer wirkt. Er steht nicht tagtäglich im Weingarten, um Reben zu düngen, zu schneiden, zu pflegen. Er ist vielmehr der Chef des Weinguts. Derjenige, der die Ideen formuliert, die dann sein Team – angeführt von der jungen argentinischen Agraringenieurin Pamela Federici – umsetzt.

Dass Razumovsky den viel zitierten Traum vom eigenen Weingut im Süden umgesetzt hat, liegt eigentlich an der argentinischen Wirtschaftskrise im Jahr 2001. Nach seinem Wirtschaftsstudium in Innsbruck und Wien und Stationen in Moskau, Frankfurt und Madrid landete er Ende der 1990er-Jahre als Manager in Buenos Aires – einer Stadt, die ihn seit Studienzeiten gereizt hat. Nach dem argentinischen Crash verlegte seine Firma ihren Sitz weg aus der Stadt, Razumovsky blieb: Er hatte gerade seine Frau Ursula geheiratet, Argentinierin mit deutschen Wurzeln. „Ich wollte nicht weg“, sagt er. Also begann er als Unternehmensberater zu arbeiten und exportierte argentinische Weine nach Europa. Bis eines Tages mit einem französischen Partner (Jérémie Delecourt) und seinem Cousin Andre Hoffmann die Idee aufkam, ein Stück Land zu kaufen, um ein Weingut aufzubauen.

„Es gab hier anfangs zwei Bruchbuden, einen Kaktus und eine Eule“, sagt Razumovsky. Zehn Jahre lang war das Land nicht bewirtschaftet worden, zuvor hatten Bauern Tomaten, Knoblauch, Zwiebeln angebaut – neben Wein sind das die üblichen Produkte in der Gegend. Drei Monate lang habe er „bis zum Geht-nicht-mehr“ analysiert, ob der Boden etwas taugt. Das Wichtigste: Gibt es Wasser? In der wüstenartigen Gegend um Mendoza, in der jedes Auto auf den Schotterpisten und sandigen Asphaltstraßen eine Staubfahne hinter sich herzieht, sei schon mancher junge Winzer am fehlenden Wasser zugrunde gegangen.

Die Herkunft als Vorteil. Im Weingarten ist Razumovsky inzwischen jedenfalls in eine Lacke getreten, die ein geplatzter Schlauch verursacht hat: Hier gibt es also Wasser. Und die Reben gedeihen. Acht Sorten werden angebaut, größtenteils Malbec – der argentinische Rotweinklassiker. Auch dazwischen gedeiht einiges: Die Gräser reichen dem Zwei-Meter-Mann bisweilen bis über die Hüfte.

Gerade sind die Arbeiter dabei zu mähen. Nach der Weinlese wird ein Teil des Unkrauts auch von den 14 Schafen weggezupft, die wie die Hühner und die Bienen, die durch halbe Weinfässer voll blühender Frühlingsblumen angelockt werden, integraler Teil der biodynamischen Philosophie sind: Man will so weit als möglich einen natürlichen Kreislauf schaffen.

Dass sein Wein bio werden sollte, war für Andrej Razumovsky von Anfang an klar. Einerseits aus Überzeugung – „Ich wollte auf keinen Fall spritzen, denn ich finde, das schmeckt man.“ Andererseits aber auch als Alleinstellungsmerkmal – es ist nicht zu übersehen, dass Razumovsky aus der Wirtschaft kommt. „Es gibt so viele hervorragende argentinische Weine“, sagt er. „Da muss man herausstechen.“ Mit biodynamischem Wein funktioniere das gut, meint er: Importeure würden zunehmend auf Bio-Qualität achten. Und immer mehr Restaurants hätten inzwischen sogar eine eigene Bioweinkarte.

Den größten Teil seines Weins verkauft er in Österreich, wo er an die 40 Restaurants beliefert: vom Steirereck über das Motto bis zu Wirtshäusern, die zu ihrem Wild einen argentinischen Rotwein haben wollen. Es folgen Dänemark, Japan, USA. Seine Herkunft gereicht Razumovsky da bisweilen zum Vorteil: Er hat auch dänische Wurzeln („In Dänemark bin ich der Däne“), und väterlicherseits ist einer seiner Ahnen Fürst Rasumofsky: der russische Delegierte beim Wiener Kongress – nach dem in Wien ausgerechnet jene Gasse benannt ist, in der ursprünglich das Steirereck eröffnet wurde.

Unweit von dort, im dritten Bezirk, verbringt Andrej Razumovsky inzwischen den größten Teil des Jahres. Vor drei Jahren, kurz bevor Tochter Anastasia begann, zur Schule zu gehen, ist die Familie nach Wien umgezogen. Auf der Finca ist er nun fünfmal pro Jahr, das nächste Mal wieder für sechs Wochen im Februar, zur Weinernte.

Ein Fass aus Österreich. Eine gute halbe Stunde Autofahrt entfernt, in einem der ältesten Weinkeller Mendozas, einer früheren Mühle mit unverputzten roten Ziegelwänden: Mit Milo Colombi, einem Mann um die 60 mit festem Händedruck, wettergegerbtem Gesicht und Karohemd, dem Chef des Kellers, verkostet Razumovsky vor seiner Abreise am nächsten Tag noch einmal seine Weine. Stahltanks werden angezapft, mit der Pipette wird der Reserva-Rotwein aus den Eichenfässern geholt, die neben- und übereinandergestapelt einen der großzügigen Räume beinahe komplett ausfüllen.

Mehr als 100.000 Liter Wein von seiner Finca liegen hier, pro Jahr füllt er 70.000 bis 80.000 Flaschen seiner Weine ab. Mit dem Cabernet Sauvignon und dem Cabernet Franc („Der ist total im Kommen“) ist Razumovsky zufrieden. Sie schmecken ihm sogar noch besser als erst vor zwei Tagen. Chardonnay und Sauvignon blanc wären bereit zum Abfüllen – wäre da nicht das Problem mit der Importgenehmigung für die Schraubverschlüsse. In Argentinien kann so etwas dauern.

Dieser Tage erst hat Razumovsky aber eine gute Nachricht erhalten: Er darf ein Holzfass aus Österreich einführen. Eiche, 1000 Liter und angeblich etwas ganz Besonderes: Franz Stockinger aus Waidhofen an der Ybbs sei ein Star unter der Fassbindern, meint Razumovsky. Und außerdem: Wenn er schon als Österreicher Wein produziere, könne er dem auch einen entsprechenden Touch verleihen. Eine weitere Idee dafür hat Razumovsky schon: Er spielt mit dem Gedanken, ein paar Reben Grünen Veltliner zu setzen. „Funktionieren würde es“, glaubt er. Und ausprobiert habe das in Argentinien bisher auch noch keiner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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