Der leise König des Tangos – Freitag

Drei Männer haben den Tango im Zwanzigsten Jahrhundert geprägt: Carlos Gardel, der Sänger, Astor Piazzolla, der Komponist und Horacio Ferrer, der Texter. Gardel war der Hutträger, der recht jung bei einem Flugzeugabsturz starb und heute einer dieser vielen argentinischen Heiligen ist, die in den Museen verrotten und die doch ein Teil der Weltkultur sind. Astor Piazzolla, der ungekrönte König, war der Komponist hunderter zum Teil weltberühmter Tangos, der Mozart Argentiniens. Niemals mehr hat ein Musiker aus dem Land eine solche Bedeutung, eine so große Bekanntheit erlangt wie Piazzolla. Der dritte im Bunde, Horacio Ferrer, war gar kein Argentinier, er kam von der kleinen Schwester Argentiniens, aus Uruguay.

Ferrer war der leise König des Tangos. Das, was Gardel sang und Piazzolla komponierte, unterlegte er mit traumhaften, überirdisch schönen Texten. Markenzeichen des Mannes aus Montevideo war stets eine Blume im Knopfloch; er verkörperte geradezu das Sinnbild lateinamerikanischer Künstlers und Poeten.

Seine Texte waren wie Montevideo

In seinen Texten spielte sich das Leben ab. Es kamen die Bilder auf, der alten Bahnen und Busse, die anscheinend immer noch mit dem Benzin der 1950er Jahre fuhren, der Shorts tragenden Jungs, die traurig an den Straßenecken standen, der Poeten, die in verrauchten Kneipen die Opfer der Militärdiktatur besangen, der Stadt, die immer im Schatten von Rio, Santiago oder Buenos Aires gestanden hat und ihre eigene, melancholische Traurigkeit, der auch der deutsche Regisseur Werner Schroeter zuletzt verfallen war, besaß. Ferrer war ein „literate absolute“- Poet, Librettist, Journalist, Schriftsteller, historischer und theoretischer Schriftsteller (vor allem des Tangos). Er lebte, ja er atmete Kunst. Er beschrieb in einem Gedicht (Oblivion) die tiefe und lange Freundschaft zu Piazzolla und er war der letzte Tangokenner, der noch echten Tango kannte, als kaum oder keine Touristen Buenos Aires überfluteten. Es gab wohl weltweit niemanden, der mehr über Tango wusste, ihn mehr gelebt und gespürt hatte wie Ferrer. Mit ihm ist auch der Tango ein Stück gestorben.  Seine Texte strahlten Würde aus, wie der gesamte Mann, der niemals laut daherkam, wie der echte Künstler, der vorträgt, um gleich verschämt wieder wegzugucken und im Programm weitergeht. Er war ein Herr, ein „Cavallero“, einer, der Kunst und Schönheit durchaus miteinander zu verbinden wusste.  

In Deutschland fand er leider nicht statt

Es gibt im Leben nicht viele Menschen, die ich gerne getroffen hätte, kennengelernt hätte. Ferrer gehörte dazu. Tragisch, dass man in Deutschland nahezu nichts von ihm hört, nichts liest, keine seiner Gedichte übersetzt sind, wo doch jeder zweitklassige spanische Romancier heutzutage bei den großen Verlagen Gehör bekommt. Hier gibt es so viele Showacts, ich bin mir aber sicher, dass er auch in Deutschland ernsthaft Fans und Liebhaber gefunden hätte, hätte man ihn hier gekannt  (und gewürdigt). Wo man doch so viele Musicals mag, jedes Jahr hunderte, tausende neue Showacts aus dem Boden gestampft werden, wäre seine Oper, „Maria de Buenos Aires“, kein schweres Brot a la Puccini, sicher auch angekommen. Das Libretto stammte von ihm. Ich glaube aber manchmal- auch wenn das sicher viele anders sehen- das wirklich schöne, das wirklich interessante aus den nicht anglophonen, francophonen oder italophonen Ländern soll und will man hier nicht würdigen, man könnte ja eine Alternative zum amerikanischen, britischen, französischen oder italienischen Kulturhegemonialismus finden. Ernsthaft dachte ich im letzten Jahr darüber nach, mal nach Montevideo zu fahren, um ihn- er trat ja noch regelmäßig auf- nur einmal sehen oder hören zu können. Doch so einfach ist das selbst im 21. Jahrhundert nicht, meine Spanischkenntnisse sind begrenzt, Direktflüge nach Montevideo gibt es nicht mehr und Tickets sind in ganz Europa nicht zu bekommen. So bleibt dem interessierten Menschen nur  Youtube. Und dort ist er verewigt, die vielen Videos aus Sendungen und von Auftritten zeigen seine Bedeutung für Argentinien und Uruguay. In diesen Ländern war Ferrer ein Superstar. Und er blieb immer Dichter, immer ein Wortkünstler. Und das auf hohem Niveau. Gestern starb er im Alter von 81 Jahren in Buenos Aires.

Adios, Maestro Ferrer. Die Wolken tanzen heute Tango über Montevideo und versinken danach dort in die bekannte, latente Traurigkeit des Seins…

 Ende. 22.12.2014

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