„Der deutsche Freund“

Frau Meerapfel, wie autobiographisch ist der Film?
Ich bin tatsächlich in Argentinien geboren, als Tochter von jüdisch-deutschen Eltern und insofern kenne ich die Geschichte von innen. Anderes habe ich in langen Recherchen gefunden: die Rattenlinien [A.d.R. Fluchtrouten führender NS-Funktionäre] der Nazis nach Argentinien oder die Immigration der deutschen Juden dahin. Letztere war schwierig, denn Argentinien war bis zuletzt eher auf der Seite der Achse. Insofern ist die Geschichte nicht nur autobiographisch, sondern ich habe auch viel über Bücher und Materialien gelernt.

Was hat die Heldin Sulamit dann von Ihnen?
Die Figur hat einiges von meiner Entwicklung, aber sie ist kein Alter Ego. In Wirklichkeit ist diese Figur eine romantischere Figur, weil sie sich eines Tages entscheidet: Diesen Mann liebe ich, das ist der Mann meines Lebens. Das ist etwas, das ich so nicht erlebt habe. Dafür kenne ich das Hin und Her zwischen Argentinien und Deutschland und die Fragen, die sich dadurch stellen: Wo gehöre ich hin? Wer bin ich?

Im Titel schwingt eine Abgrenzung mit, die der Held Friedrich selbst nicht treffen würde, denn er empfindet sich ja nicht nur als Deutscher…
Da hat er Recht. Er ist ja in Argentinien geboren. Eigentlich heißt der Film so, weil die Mutter von Sulamit ihn so nennt. Doch Sulamit sagt immer wieder: Friedrich ist kein Deutscher, er ist Argentinier, wie ich. Und natürlich ist das nur die halbe Wahrheit, denn wie sie selbst, ist er auch deutsch. Ich spiele mit dieser Nationalitätenfrage. Die Kinder der Menschen, die von woanders hergekommen sind, werden immer diesen Identitätszweifel in sich tragen. Mehr oder minder stark.

Wie steht es mit Ihnen selbst?
Ich bin beides: Deutsche und Argentinierin. Ich bin hier zu Hause und dort. Aber ich sage mir immer wieder, dass das ein privilegierter Zustand ist. Ich leide ja nicht darunter, ich bin ja kein Flüchtling, sondern eine Fremde aus freien Stücken. Dieses „bastardische“ Leben empfinde ich als Reichtum: Ich habe die argentinische Poesie und die deutsche Literatur und damit einen größeren Reichtum als solche, die nur eines haben.

Warum schwelgt der Film mehr in argentinischen Landschaften, etwa denen Patagoniens, als in deutschen?
Es gibt in Deutschland nun mal kein Patagonien. Ich wollte über die Bilder auch von der Liebe erzählen, die man zu diesen Orten haben kann und wie schwer es ist, sie zu verlassen. Wir sehen im Film ja auch den Rhein und den deutschen Wald.

Im Film versucht Sulamit, die Schuldgefühle ihres Freundes Friedrich, die dieser aufgrund der von seinem Vater verübten Verbrechen empfindet, zu überbrücken. Soll das heißen, dass Kinder nicht für ihre Eltern büßen sollen?
Genau. Sie können Verantwortung tragen, aber sie haben keine Schuld. Die Kinder der Mörder können nicht für die Taten ihrer Eltern belangt werden. Als ich nach Deutschland kam, waren die jungen Männer meiner Generation, deren Eltern Nazis waren, davon so geprägt, dass sie sich selbst gehasst haben. Sie haben sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass nicht sie selber diesen Makel hatten. Die jungen deutschen Menschen, die damals nach dem Warum und Wie gefragt haben, haben Deutschland verändert.

Warum haben Sie sich entschieden, Friedrich nicht zu einem RAF-Terroristen werden zu lassen?
Er entscheidet sich ja bald, nach Argentinien zurückzugehen und geht dort zur Guerilla. Da nimmt er eine Waffe in die Hand. Dort macht er das, was die RAF hier gemacht hat, wenn auch gegen eine Militärdiktatur. Aber er verhärtet sich zusehends und da sieht man diesen tiefen Schmerz in ihm. Diese Verhärtung führt dazu, dass er bereit ist, sein Leben zu geben. Das ist schrecklich und überhaupt nicht romantisch.

Wo haben Sie gedreht?
Angefangen haben wir in der Nähe von Bariloche, in Patagonien. Danach haben wir in Buenos Aires gedreht, dann in Köln und in Frankfurt. In Argentinien haben wir 60 bis 70 Prozent gedreht, dort hatten wir eine vollkommen andere Crew als in Deutschland. Nur drei Leute waren außer einigen Darstellern die ganze Zeit dabei: der Kameramann Victor González und die zwei Maskenbildner Sabine Schumann und Waldemar Prokromski. Er ist ein genialer Maskenbildner, der auch schon in „Der Pianist“ und „Schindlers Liste“ gearbeitet hat. Es war fantastisch, diese Leute um mich zu haben.

Jeanine Meerapfel, Jahrgang 1943, wuchs als Tochter deutsch-jüdischer Einwanderer in Buenos Aires auf, wo sie Journalistik studierte. 1964 ging sie zum Studium nach Deutschland und dreht seit 1981 regelmäßig abendfüllende Spiel- und Dokumentarfilme in beiden Ländern, etwa „Die Kümmeltürkin geht“ (1985) oder „Amigomío“ (1994). Meerapfels jüngster Film „Der deutsche Freund“ (Start: 1. November) schildert die Freundschaft eines jüdischen Mädchens mit dem Sohn eines Nazis von den 1950ern bis in die 70er, zwischen Deutschland und Argentinien.

Leave a Reply