„Das ist ein Chaos“

Nachdem vor Ghanas Küste vor wenigen Wochen ein Schiff der argentinischen Marine beschlagnahmt worden war, folgt nun der nächste schwere Rückschlag für Buenos Aires im jahrelangen Kampf mit Hedgefonds: Ein New Yorker Bezirksgericht entschied, dass Argentinien den Hedgefonds umgehend eine erste Rate von 1,3 Mrd. Dollar von den insgesamt rund 20 Milliarden an Schulden zahlen müsse.

Während sich Banken und zahlreiche andere Finanzinstitute und auch Hedgefonds sieben Jahre nach dem Rekordbankrott mit dem südamerikanischen Land 2010 auf einen hohen Schuldenschnitt geeinigt hatten, hatte die nun siegreiche Gruppe von Hedgefonds - angeführt von NML Capital und Aurelius Capital - diesen verweigert. Diese bekämpft seither Argentinien vor Gerichten in der ganzen Welt mit Forderungen auf Konfiskation argentinischen Eigentums.

Ziel der Übung ist es, das weiter auf wackeligen finanziellen Beinen stehende Land weichzuklopfen und dazu zubringen, die Schulden in voller Höhe - es geht um 1,3 Mrd. Dollar - zurückzuzahlen. Diesem Vorhaben kamen die Hedgefonds nun einen wichtigen Schritt näher.

Warnung vor neuem Bankrott

Das Problem aus Argentiniens Sicht: Um Buenos Aires zur Zahlung der Schulden zu zwingen, entschied der Richter, Argentinien dürfte jene Gläubiger, die dem Haircut zugestimmt hatten und seither via der Bank of New York regelmäßig Raten überwiesen bekommen, erst weitere Rückzahlungen leisten, wenn das Urteil umgesetzt sei.

Der Bezirksrichter, Thomas Griesa, drohte der Bank of New York, dass diese gegen das Urteil verstoße, sollte den Klägern nicht das ihnen zustehende Geld überwiesen werden. „Das ist ein Chaos“, so der Goldman-Sachs-Analyst Alberto Ramos, der vor einem neuerlichen Staatsbankrott Argentiniens warnte.

„Fehlt nur noch die Fünfte US-Flotte“

Der Richter - offenbar entnervt von den wiederholten verbalen Angriffen auf die US-Justiz - begründete seine Entscheidung ausdrücklich auch damit, dass Argentiniens ständige Drohungen, Gerichtsentscheide nicht anzuerkennen, nicht unwidersprochen bleiben dürfe.

Der argentinische Wirtschaftsminister Hernan Lorenzino sprach seinerseits nach dem Urteil von „einer Art von juristischem Kolonialismus“. „Was uns jetzt nur noch fehlt, ist, dass der Richter die Fünfte Flotte gegen uns auslaufen lässt“, so Lorenzino wütend. Seiner Meinung nach ist das Urteil nicht nur ungerecht, sondern auch unfair gegenüber jenen Gläubigern, die dem Schuldenschnitt zugestimmt hätten. Diese nehme das Urteil als „Geiseln“.

Diese Gläubigergruppe hatte im Verfahren auch argumentiert, dass sie ohnehin durch den Schuldenschnitt bereits Milliardenverluste hinnehmen musste und eine weitere Beschädigung ihrer Interessen nicht fair sei - nur zu dem Zweck, dass die Verweigerer des Haircuts, die die Anleihen zum Dumpingpreisen gekauft hatten, 200 Prozent Gewinn machen. Das werde es anderen Ländern künftig unmöglich machen, Gläubiger zu einem Schuldenschnitt zu bewegen, so ihr Argument.

Buenos Aires in Zwickmühle

Diese drohen nun ebenfalls Argentinien: Sollte das Land infolge des Urteils die Zahlungsverpflichtungen jenen Gläubigern gegenüber, die dem Schuldenschnitt zustimmten, nicht einhalten, würden diese die verbliebenen Schulden von 20 Milliarden Dollar sofort fällig stellen. Abzuwarten bleibt daher auch, wie die Bank of New York reagiert.

Sollte Argentinien dem Urteil Folge leisten, hätte das für das Land aber auch am anderen Ende teure Folgen: Andere Hedgefonds, die der Umschuldung nicht zustimmten, würden wohl ebenfalls Klage einreichen - dabei ginge es dann um satte zwölf Milliarden Dollar.

Anleihen billig aufgekauft

NML Capital mit Sitz auf den karibischen Cayman-Inseln und andere Hedgefonds hatten während der argentinischen Wirtschaftskrise im Jahr 2000 billig Staatsanleihen aufgekauft, die Buenos Aires aber nie zurückzahlte. Vielmehr wurde mit einem Großteil der privaten und staatlichen Gläubiger ein weitreichender Schuldenschnitt vereinbart - konkret: 30 Cent für einen US-Dollar. Die 30 Cent entsprechen auch in etwa dem Preis, zudem NML und Co. die Staatspapiere damals von anderen Investoren, die diese sprichwörtlich um jeden Preis loswerden wollten, in großem Stil gezielt aufgekauft hatten.

Weltweit von Bedeutung

Der „Prozess des Jahrhunderts“, wie der in Fachkreisen genannt wurde, ist auch weltweit von enormer Bedeutung - vor allem für das in der Schuldenkrise befindliche Europa. Denn bleibt das Urteil aufrecht, wird es anderen Staaten das Umschulden künftig deutlich schwieriger machen, wenn Gläubiger erkennen, dass ausstehendes Geld per Gericht erfolgreich eingefordert werden kann. Argentinien kündigte freilich umgehend volle Berufung an - und das Verfahren wird wohl bis vor den Obersten Gerichtshof gehen.

Charles Blitzer, ein Ex-Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) sprach gegenüber der „Financial Times“ („FT“) von einer „großen Sache“. Die „FT“ zitierte auch einen europäischen Investor. Dieser beklagte sich darüber, dass der US-Richter all jene „umbringt“, die der Umschuldung zustimmen: „Dass ein New Yorker Richter Argentinien ein Jahrzehnt später sagt, dass es den Verweigerern der Umschuldung den vollen Preis zahlen muss, ist gelinde gesagt unvernünftig.“

Selbst die internationalen Geldgeber IWF und Weltbank könnten betroffen sein. Der frühere führende Weltbank-Mitarbeiter Whtiney Debevoise warnte: Sollte das Urteil halten, „wird es große Auswirkungen auf den öffentlichen Sektor haben.“

„Geier“ und die Junta

Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner sieht in den Hedgefonds „Geier“ und macht sie für einen Großteil der wirtschaftlichen Probleme des Landes verantwortlich. Wie so viele andere Probleme des heutigen Argentinien, geht auch der Milliardenpoker zwischen Argentinien und den Hedgefonds letztlich auf die blutige Diktatur von 1976 bis 1983 zurück. Die Junta verdreifachte in dieser Zeit die Staatsschulden. 2001 wurde die Last schließlich untragbar und die Wirtschaft kollabierte. Argentiniens 95-Milliarden-Dollar-Staatsbankrott hält bis heute den Rekord.

Der Reiz von Staatsschulden besteht für langfristige Anleger grundsätzlich darin, dass erwartet wird, dass ein Staat immer seine Schulden zurückzahlt, egal wer das Land regiert. Doch die Fernandez de Kirchners - Cristina und zuvor ihr Mann und Amtsvorgänger, Nestor - hatten den Schuldenberg immer als illegitim betrachtet.

Ihrer Ansicht nach waren die Schulden dem Land durch das Zusammenspiel der Militärjunta mit internationalen Finanzspekulanten aufgezwungen worden. Daher weigerten sie sich stets, die alten Staatspapiere zu bedienen und legten stattdessen neue auf - mit mehr als zwei Drittel weniger Wert. Bis zum Jahr 2010 hatten 93 Prozent der ursprünglichen Anleihebesitzer der Umschuldung zugestimmt, wodurch das Land aus einer jahrelangen schweren Wirtschaftskrise herauskam.

Gefährliche Nähe zu Jahrestag?

Die „FT“ verweist in einem Kommentar allerdings auf ein Auseinanderklaffen der Wahrnehmung: Während sich Buenos Aires selbst als Land sehen, das es wage, die Ungerechtigkeiten des weltweiten Finanzsystems infrage zu stellen, würden weitere Klagen nicht dazu führen, den Ruf des Landes - der durch die Pleite und frisierte Inflationsdaten in Verruf geraten sei - zu verbessern. Und die „FT“ erinnert daran, dass sich die Geschichte von vor elf Jahren wiederholen könnte, als Argentinien genau am 23. Dezember die Zahlungsunfähigkeit verkündete.

Links:

Publiziert am 24.11.2012

Open all references in tabs: [1 - 4]

Leave a Reply