Kinder und Lügner
Spanisch und ein bisschen Portugiesisch sind die Filmwelten beim Tübinger Festival Cine Latino. Die 20. Ausgabe mit dem Fokus Argentinien beginnt am Mittwoch. Im Kino Museum laufen 42 Filme.
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Der Eröffnungsfilm: "Infancia clandestina" (Verborgene Kindheit). Die Schatten der argentinischen Militärdiktatur zeigt der Eröffnungsfilm "Infancia clandestina" aus der Perspektive eines zwölfjährigen Jungen. Dessen geliebten Onkel Beto spielt Festivalgast Ernesto Alterio, der als Kind selbst mit seiner Familie vor der Militärjunta nach Spanien fliehen musste. Der packende, vielfach ausgezeichnete Film hat beim Cine Latino Deutschlandpremiere (Mittwoch, 20 Uhr, Kino Museum, englische Untertitel).
Argentinien ist eines der wichtigsten Filmländer in Lateinamerika, sagte Festivalkoordinatorin Pola Hahn. Pro Jahr kommen rund 120 Neuproduktionen heraus. In der Komödie "La Suerte en tus manos" folgt Berlinale-Preisträger Daniel Burman einem schillernden Lügenbold, der sich gerade sterilisieren lassen will, als er seiner Jugendliebe wiederbegegnet. "Germania" von Cine-Latino-Gast Maximiliano Schonfeld porträtiert eine wolgadeutsche Familie, am letzten Tag, bevor sie ihre Farm verlassen muss. Indirekt spielt die Militärdiktatur auch in "Abrir puertas y ventanas" hinein. Im Debüt von Milagros Mumenthaler geht es um drei Schwestern, die im Haus der Großmutter aufwachsen. Warum die Eltern abwesend sind, bleibt offen.
Aus Argentinien: "Abrir puertas y ventanas". Ausklingen wird das Festival eher leichthändig: Regisseur Cesc Gay aus Barcelona blickt humorvoll auf acht Männer über 40, die ihr Leben nicht in den Griff kriegen ("Una pistola en cada mano"). Das Cine Español präsentiert unter dem Motto "Junge spanische Welle" Filme, die sich starren Genrezuschreibungen entziehen. So changiert das Reisetagebuch "Mapa" von León Siminiani zwischen Dokumentation und Fiktion. Ebenfalls einem "sehr persönlichen Ansatz" folgt "Ensayo final para utopía", in dem Regisseur Andrés Duque Aufnahmen seines todkranken Vaters mit einer Reise nach Mosambik collagiert, so Festivalkoordinatorin Kathrin Frenz. Schon immer ans Jonglieren mit wenig Geld gewöhnt, könnten sich Jungregisseure leichter gegen den wirtschaftlichen Einbruch in Spanien stemmen, der die aktuelle Filmproduktion um 50 Prozent drücken dürfte.
Für die Retrospektive hat Festivalleiter Paulo de Carvalho den brasilianischen Ausnahmeregisseur Glauber Rocha ausgesucht. Rocha sei "ein Visionär" gewesen, wie in Deutschland vielleicht Rainer Werner Fassbinder. Speziell das junge Cine-Latino-Publikum solle die Chance bekommen, dessen radikale Bildwelten selbst zu beurteilen. "Seine Filme findet man nicht unbedingt im Internet."
Brasilianischer Western von Glauber Rocha: "Gott und Teufel im Land der Sonne". Das Cine Latino steht vor einem technischen Umbruch: Diesmal läuft fast alles digital, über DCP oder Blu-ray. Im gesamten Programm gibt es gerade noch einen Film im althergebrachten 35-Millimeter-Format. Das Budget ist mit 70000 Euro großzügiger bemessen als im Vorjahr. Die Stadt Stuttgart hat ihren Beitrag um ein Viertel aufgestockt. Beim Tübinger Gemeinderat haben die Festivalmacher je einen 5000-Euro-Antrag fürs Cine Latino und fürs Cine Espanol eingereicht. "Wir hoffen auf ein Okay", sagte Irene Jung vom Festivalteam.