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„El flaco“, der Dünne: César Luis Menotti
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„El flaco“, der Dünne: César Luis Menotti
César Luis Menotti hat seinen letzten großen Titel mit 39 Jahren gewonnen. Aber noch heute, mit 75, ist er einer der berühmtesten Trainer der Welt. Gemessen allein am Erfolg, wäre er wohl nur eine nationale Fußballgröße geblieben wie viele andere Weltmeistertrainer auch, wie Herberger, Schön, Ramsey, Bearzot, Jacquet oder sein Landsmann Bilardo. Er aber wurde eine internationale Größe, ein Mann fürs globale Gedächtnis: wegen seiner elegant rebellischen Aura, der hohen Gestalt, der bis heute langen Haare, der unvermeidlichen Zigarette (ein Laster, das er erst vor zwei Jahren aufgab).
Vor allem aber wegen seiner großen Kunst, dem Fußball mit klaren Worten und klugen Ideen einen intellektuellen Überbau zu geben, ganz im Sinne der marxistischen Ideologie, der der linke Oberschicht-Zögling Menotti seit jeher nahestand. Erst das machte ihn zu einem der einflussreichsten Trainer des Fußballs und gab ihm seinen wahren Stammplatz: in der ewigen Weltelf der Welterklärer des Fußballs.
Für Intellektuelle in Südamerika war dieses Spiel auch immer eine Ausdrucksform der Phantasie. In diese Welt des gebildeten Balles wuchs der Arztsohn und Künstlerfreund Menotti hinein. Den Dichter Jorge Luis Borges wandelte er dahingehend ab, dass nicht nur die Literatur, auch der Fußball aus „Ordnung und Abenteuer“ bestehe. „El flaco“, der Dürre, wurde als Stürmer Meister mit 27, mit 31 bereits Trainer, mit 34 Meistertrainer, mit 35 Nationaltrainer. Eine solch frühe Karriere kann jemand nicht seiner Vita verdanken, nur seiner Aura.
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Der Startrainer und der Fußballstar: Menotti (r) und der frühe Maradona 1980
1978 gewann er mit Argentinien die erste Weltmeisterschaft, beim Skandalturnier im Land der Junta. Die Vereinnahmung durch das brutale Militärregime umging er geschickt. Nach dem Finalsieg gegen die Niederlande vermied er angeblich den Händedruck des Generals Videla (eine andere Version besagt, das Getümmel im Stadion habe ihn verhindert). Er sagte vieldeutig, man habe „die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt“. Und er formulierte die Theorie vom „linken Fußball“, der sich nicht nur am Erfolg, sondern auch an der Schönheit orientiere: Er werde gespielt, „um Freude zu empfinden, um ein Fest zu erleben, um als Menschen zu wachsen“.
Getreidelieferungen für ein 6:0
Die Kehrseite der Ode an die Fußballfreude war, dass der WM-Sieg von 1978 laut überwältigenden Indizien nur möglich war, weil die Junta ihn kaufte. Der hohe Sieg gegen Peru, den Argentinien brauchte, um Brasilien auszubooten und das Finale zu erreichen, ging mit Getreidelieferungen und Millionenzahlungen an Peru einher. Der englische Autor David Winner nannte dieses 6:0 „das wahrscheinlich skandalöseste Spiel in der Geschichte der Weltmeisterschaften“.
Für den argentinischen Journalisten Ezequiel Fernández Moores war die WM 1978 „die offensichtlichste politische Manipulation im Sport seit den Olympischen Spielen 1936“ in Berlin. Das aber passt nicht recht ins Bild vom Rebellen Menotti, der mit dem WM-Sieg einen Erfolg gegen das Regime erzielt hätte. Vielleicht war es eher ein Erfolg für das Regime.
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Kein gewöhnlicher Bankangestellter: Menotti gab dem Fußball mit klugen Worten einen intellektuellen Überbau
Nach dem Scheitern bei der WM 1982 trainierte Menotti weitere 14 Teams in fünf Ländern, vom FC Barcelona abwärts, ohne weitere größere Erfolge zu erzielen. Erst mit fast siebzig ließ er die Trainerkarriere ausklingen, blieb aber als Autor, Gesellschaftskritiker und Gesprächspartner gefragt und ausdrucksstark.
So suchte Pep Guardiola vor Beginn seiner Trainerkarriere beim FC Barcelona Menottis Rat ebenso wie vor seinem Engagement beim FC Bayern. Dabei sagte er dem 32 Jahre älteren Vorbild, er wolle den Bayern helfen, weiter zu wachsen, „nicht nur im Ergebnis, sondern auch im Glanz“ - ganz Menottis linker Fußball, der nun vielleicht auch in Deutschland angekommen ist. An diesem Dienstag wird sein Erfinder 75.
Quelle: F.A.Z.
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César Luis Menotti: Welterklärer des Fußballs
César Luis Menotti
Welterklärer des Fußballs
Von Christian Eichler
Lange Haare und kritischer Blick. Intellektueller, Rebell und Weltmeister-Trainer: der Argentinier César Luis Menotti wird 75 Jahre alt.
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