Die Sociedad Comercial del Plata – in der Schweiz bekannt und noch immer an der Börse gehandelt als Cadelplata – ist das letzte verbleibende Glied aus der Gruppe von Gesellschaften, welche Anfang des vergangenen Jahrhunderts unter der Ägide von Walter Boveri von der Schweiz aus in Südamerika aufgebaut worden war. Noch in den siebziger Jahren lagen 80% des Aktienbesitzes in der Schweiz, bis dann die argentinisch-schweizerische Familie Soldati ihre Beteiligung zur Mehrheit ausbaute.
Immense Fehlinvestitionen
Unter dem argentinischen Präsidenten Carlos Menem kam der grosse Aufschwung. Cadelplata expandierte rasant und beteiligte sich erfolgreich an der Privatisierung von Gesellschaften in den Sektoren Energie, Telefon, Wasserversorgung und Eisenbahnen. Der illustre Name des Hauptaktionärs und die Schweizer Fahne im Hintergrund halfen, der Gesellschaft den Zugang zuerst zum schweizerischen und dann zu den internationalen Kapitalmärkten zu verschaffen. Doch die Freude war nur von kurzer Dauer. Riesige Fehlinvestitionen bei einem Vergnügungspark in Buenos Aires und im Erdölbereich auch ausserhalb Argentiniens führten zu Verlusten von über 800 Mio. $. Im September 2000 beantragte die Gesellschaft Nachlassstundung unter Gläubigerschutz.
Dass das Verfahren zwölf Jahre dauerte und weitere 300 Mio. $ zu den Verlusten hinzufügte, ist vor allem die Folge davon, dass die Gesellschaft alles daran setzte, den Hauptaktionär zu retten und die Verluste so weit wie möglich den ausländischen Gläubigern aufzubürden. Unter diesen waren die Obligationäre mit 250 Mio. $ die wichtigste Gruppe. Der Umschuldungsvorschlag von Cadelplata sah vor, die Fremdwährungsforderungen völlig willkürlich zum alten Wechselkurs von 1:1 von Dollars in Pesos umzuwandeln, was allein schon einen Abstrich von 60% bedeutete.
Dazu wurden die ausländischen Obligationäre gezwungen, statt wie eigentlich üblich schriftlich über die Banken abzustimmen, zweimal an einer Versammlung in Buenos Aires teilzunehmen. Die Stimmen wurden so ausgezählt, dass sie keinen Einfluss auf das Gesamtresultat hatten. Bei diesen Manövern stützte sich die Gesellschaft auf neue Bestimmungen, die erst zu Beginn des Jahres 2002 durch den Kongress in das entsprechende Gesetz eingefügt wurden, nachdem mehrere argentinische Gesellschaften mit grossen Dollarschulden in Schwierigkeiten geraten waren. So gelang es Cadelplata mithilfe der argentinischen Banken, die Vorschläge von einer knappen Mehrheit der Gläubiger genehmigen zu lassen. Für die ausländischen Obligationäre wäre dies die Enteignung gewesen.
Die Obligationäre, angeführt durch ein in der Schweiz domiziliertes Komitee, setzten sich zur Wehr. Aber während Jahren entschieden die Gerichte der unteren Stufen zugunsten der Gesellschaft. Das Blatt wendete sich, als sich in Argentinien eine Staatsanwältin einschaltete und die Manipulationen, die Cadelplata in diesem Verfahren angewandt hatte, aufdeckte. Sie prangerte betrügerische Manöver und Missbrauch der Gesetze an. So gelangte der Fall vor das Oberste Gericht Argentiniens, und dieses übernahm weitgehend die Argumente der Kläger. Es hielt fest, dass die Vorschläge von Cadelplata gesetzes- und verfassungswidrig seien. Es vergingen weitere drei Jahre, doch dann blieb den Akteuren aufseiten von Cadelplata nur noch die Kapitulation. Sie übergaben vier Fünftel des Aktienkapitals einer inzwischen stark geschrumpften Gesellschaft an die Gläubiger.
Der grösste Coup war aber, wie es den Vertretern des Hauptaktionärs gelang, das wichtigste Aktivum der Cadelplata, die Erdölgesellschaft Cia. General de Comustibles (CGC), aus der Konkursmasse herauszulösen. 2005 wurden 81% des Kapitals der CGC zum geringen Preis von 23 Mio. $ an eine anonyme Investorengruppe unter Führung von Norberto Morita verkauft; das ausgewiesene Nettovermögen betrug mehr als 300 Mio. $. Morita ist ein Vertrauter der Familie Soldati und hatte bis 2000 dem Verwaltungsrat von Cadelplata angehört. Der Verkauf erfolgte ohne Zustimmung des Gerichts und hatte auch nicht die Genehmigung durch die Gläubiger, die damit die wesentliche Substanz ihrer Anlage verloren.
Erst das Oberste Gericht schloss sich 2009 den von der Staatsanwaltschaft und den Obligationären erhobenen Vorwürfen an und beschrieb im Detail die groben Missbräuche beim Verkauf von CGC. Aus rein formalen Gründen wollte es dazu aber keinen Entscheid fällen; das sei durch die untergeordneten Instanzen nach dem ordentlichen Recht zu beurteilen. Das Appellationsgericht, zu dem das Dossier zurückkehrte, wiederholte zwar die im Entscheid des Obersten Gerichts erhobenen Anklagepunkte. Es berief sich aber darauf, dass es nicht formell zu einer Revision des früheren Urteils aufgefordert worden sei, und unternahm nichts. So kam das illegale Geschäft ungeschoren wieder aus den Mühlen der argentinischen Justiz heraus.
Im Februar 2013 verkaufte Morita seine Beteiligung von 81% an CGC für 200 Mio. $. Er und seine Mitstreiter hatten mit den investierten 23 Mio. $ innert acht Jahren einen satten Gewinn von annähernd 800% erzielt – mit Geld, das den Gläubigern gehört und gereicht hätte, um ihnen mehr als die Hälfte ihrer Forderungen zu bezahlen. Wenig später teilte Cadelplata der Effektenbörse mit, dass sie vom Käufer des Morita-Pakets an CGC (dem argentinischen Unternehmer Eurnekian) 11% der CGC-Aktien zurückkaufen wolle. Cadelplata zahlte 26 Mio. $; 2005 hatte sie die gleichen Aktien zu einem Preis von 3 Mio. $ an Morita verkauft. Damit hat das Unternehmen den Beweis erbracht, dass jemand mit diesem Geschäft viel Geld verdiente; die Rechnung bezahlten die Gläubiger.
Ernüchterndes Fazit
Was bleibt als Fazit? Dass die argentinischen Gerichte nicht in der Lage oder nicht willens waren, die Vorgänge bei dem Nachlassverfahren korrekt zu beurteilen, erstaunt nur in Teilen. Ein Urteil des Appellationsgerichts von 2005 strotzte derart vor sachlich falschen Angaben, dass sich das Oberste Gericht veranlasst sah, einzuschreiten und einiges richtigzustellen. Als 2004 ein schweizerischer Investor beim gleichen Appellationsgericht frist- und formgerecht einen Rekurs gegen den Verkauf von CGC einreichte, erhielt er nicht einmal eine Antwort. Als die Richterin im Konkursverfahren, die von 2001 bis 2004 alle Wünsche und Vorschläge der Gesellschaft durchgewinkt hatte, mit einer Untersuchung ihrer Amtsführung im Falle Cadelplata konfrontiert wurde, legte sie ihr Amt nieder. Ein anderer Einzelrichter machte sich über die Strafklagen lustig, welche die Staatsanwaltschaft gegen die Verantwortlichen erhoben hatte. In andern Ländern sind Manager bereits für viel geringere Vergehen ins Gefängnis gewandert.
Doch ausländische Gläubiger über den Tisch zu ziehen, ist heute in Argentinien schlimmstenfalls ein Kavaliersdelikt. Die Regierung Kirchner hat den Weg vorgezeichnet, indem sie ihren ausländischen Gläubigern 2005 einen in dieser Höhe nicht gerechtfertigten Schuldenschnitt von 60% aufzwang und reihenweise die früher privatisierten Firmen wieder verstaatliche, ohne bisher Entschädigungen zu bezahlen.
Hanspeter Enderlin war Mitglied der Geschäftsleitungen diverser Firmen und Verwaltungsräte in der Schweiz, Mexiko und Argentinien. Dazu zählt von 1975 bis 2003 das Verwaltungsratsmandat bei Cadelplata.