Buenos Aires (RP). Buenos Aires, Geburtsstadt von Papst Franziskus, ist die kulturell spannendste Stadt Lateinamerikas. Aus ihr stammen fast gleichaltrige Musiker von Weltrang: Martha Argerich, Astor Piazzolla, Daniel Barenboim und Mauricio Kagel.
Diesen prominenten Ortsnamen tragen viele Provinzen, Städte und Dörfer in Mittel- und Lateinamerika – das wirkliche Buenos Aires aber ist einzigartig. Es gilt als Brunnen und als Schmelztiegel der Künste, doch ist es kein Luftkurort, wie man denken könnte. Der Name rührt her von der Schutzheiligen der Seefahrer, Santa María del Buen Ayre (spanischer Name der Heiligen Maria des Guten Windes).
In Buenos Aires kam 1936, damals wohl noch nicht vom Heiligen Geist der Theologie beflügelt, der junge Jorge Mario Bergoglio zur Welt, der heutige Papst Franziskus. Seine geistliche Kindheit ist bis jetzt unerforscht, doch gibt es verlässliche Morsezeichen einer neugierigen Jugend: Literatur, Kino und Musik hatte Bergoglio schon früh gern. Er liebte aber auch das Fußballspiel. In seiner Jugend wird er in Buenos Aires manchen Künstlern begegnet sein, die damals noch nicht von guten Winden in die Welt zerstreut waren, doch bereits solche Zauberkraft besaßen wie der spätere Argentinier Diego Maradona, der immerhin für zwei Sekunden bei der Fußball-WM 1986 im Besitz der Hand Gottes war.
Stellen wir uns den Papst vor, als er zwölf Jahre alt ist. Was bewegt ihn? Wir wissen, dass er ein Faible für die kleinen Leute und ihre Ausdrucksformen hat, vielleicht wird er ihre Musik kennen – und da kann es sein, dass er 1948 im Radio neue, wehmütig-intensive Töne hört von einem Mann, der in Bordellen und Kabaretts von Buenos Aires arbeitet. Der Mann wird den Tango revolutionieren, aber später sagen: "Tangomusiker war ein schmutziges Wort im Argentinien meiner Jugend. Es war die Unterwelt." Dieser Mann ist Astor Piazzolla, der Musiker der kleinen Leute. Bis 1948 macht er mit seinem Orquesta Tipica tolle Platten, dann löst er die Truppe auf. Er will nach Europa, ein richtiger Komponist werden. In dieser Zeit legt Piazzolla mit seinem Bandoneon den Grundstein für den Tango Nuevo, dessen Heiliger er ist.
1949 liest Bergoglio auf den Straßen von Buenos Aires gewiss ein Konzertplakat, das eine junge Dame ankündigt. Von ihr sind wahnsinnige Dinge in Umlauf, sie sei erst acht Jahre alt (Bergoglio ist elf), aber so fanatisch, dass von der kleinen Lady ganz Buenos Aires redet. Sie habe, sagen Fachleute, das Pianisten-Gen. Es ist Martha Argerich, die noch heute, 63 Jahre später, zu den großen Künstlerinnen der Gegenwart zählt. La Martha, wie sie die Gemeinde verehrend ruft, wird nach Europa gehen und bei Friedrich Gulda in Wien studieren, aber im Herzen bis heute eine explosive Latina bleiben.
Von anderem Gemüt ist der junge Daniel Barenboim, der ein Jahr nach Martha in Buenos Aires geboren wird. Beide sind Kinder mit einzigartiger individueller Begabung, sie werden natürlich groß in einer aufregend kunstsinnigen Großstadt; das Teatro Colón ist noch heute eines der grandiosen Opernhäuser der Welt. Barenboim ist aber das Kind zweier Pianisten, das verschärft die Lage, er gibt sein Debüt in Buenos Aires 1950, da ist der kleine Bergoglio schon mitten im Stimmbruch. Barenboim ist ein eher adretter kleiner Kerl mit kurzen Hosen, der fast etwas Altkluges hat. Ihn und seine Familie werden die Winde nach Israel und nach Europa pusten, Barenboim wird später famos auch das Dirigieren lernen
Ja, und dann ist da 1951 in Buenos Aires der 20-jährige Schwarmgeist Mauricio Kagel, ein junger Komponist, der sich unter anderem als Filmkritiker die Brötchen verdient. Von Bergoglio wissen wir, dass er früh schon ins Kino geht und später zum Fan des italienischen Neorealismus wird. Kann gut sein, dass er die Filmkritiken Kagels liest. Dieser Kagel wird Argentinien ebenfalls verlassen, er kommt nach Deutschland, erfindet das politische Musiktheater, ist ein geistreich-lustiger Querulant und lebt – ein Argentinier im Rheinland – lange in Köln.
Aber das Rheinland kam auch nach Argentinien. Wer hatte nämlich Piazzollas Bandoneon überhaupt erfunden? Es war Heinrich Band aus Krefeld.
Also gute Winde, hin und zurück.