© Josef Oehrlein
Nach der Renovierung: Das „Hotel de los Inmigrantes“ ist heute ein Museum.
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Nach der Renovierung: Das „Hotel de los Inmigrantes“ ist heute ein Museum.
„Einstein, Dr. Albert, Ankunft in Buenos Aires am 25. März 1925. Dampfschiff Cap Polonio. Geschlecht männlich. Alter 45. Zivilstand verheiratet. Kann lesen, ja, kann schreiben, ja. Welche Sprachen spricht er? Deutsch, Spanisch, Französisch.“ Die vergilbte Karteikarte, das Einreisedokument des genialen Physikers, ist ein Kleinod. Damals, 1925, war er auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Auf der „Cap Polonio“ war er selbstverständlich erste Klasse gereist. Seine Gesundheit sei gut, er weise keinerlei „Defekt“ auf, heißt es noch auf der Karte. Zweck der Reise: „Besuch“.
Einstein war damals für einen Monat nach Argentinien gekommen. Er hielt Vorträge, wurde herumgereicht und ließ sich feiern. Für eine solche Persönlichkeit waren die Einreiseformalitäten rasch erledigt. Anders erging es den meisten anderen Passagieren, die auf Transatlantik-Schiffen in Buenos Aires anlandeten und für immer in Argentinien bleiben wollten. Für sie war in der Haupt-Immigrationszeit zwischen 1911 und 1955 das „Hotel de los Inmigrantes“, das Immigranten-Hotel im Hafen von Buenos Aires, erste Anlaufstation. Dort mussten sie bleiben, bis ihre Einreiseprozedur abgeschlossen war.
Der monumentale Bau ist noch in seiner Originalgestalt erhalten. In einem Teil des Erdgeschosses sind wieder einige Abteilungen der argentinischen Migrationsbehörden untergebracht. Doch statt europäischer Einwanderer werden heute dort hauptsächlich Migranten aus südamerikanischen Ländern, vor allem aus Bolivien, Paraguay und Peru, eingebürgert. Die Außenfassade des Gebäudes ist stark renovierungsbedürftig, die Raumstruktur im Inneren noch weitgehend unverändert. Seit das Haus nicht mehr als Herberge dient und die Ausländerbehörden weitgehend andernorts in der Stadt untergebracht worden sind, war es längere Phasen sich selbst überlassen und drohte zu verfallen, wie das gesamte ehemalige Viertel an der „Dársena Norte“, dem Nord-Dock, das als „Puerto Madero“ inzwischen eines der schicksten Viertel von Buenos Aires ist.
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Bei der Ankunft: Endlich hatten die Einwanderer eine Zufluchtstätte.
Immerhin ist das Immigranten-Hotel 1995 zum nationalen Monument ernannt worden. Eher halbherzig war immer mal wieder versucht worden, in dem Haus ein Museum einzurichten, um aus dem einstigen Einwandererzentrum stammende Dokumente und Gegenstände auszustellen. Doch es fehlte vor allem am Geld, vielleicht auch an gutem Willen. Jetzt ist wieder ein neuer Versuch unternommen worden. Die Zusammenarbeit mit der „Universidad Tres de Febrero“ (Universität 3. Februar) hat es möglich gemacht. Die Uni hat einige der früheren Schlafsäle im dritten Stock restauriert und will dort neben der Dokumentation auch zeitgenössische Kunst aus eigenen Beständen zeigen.
In dem Immigranten-Hotel und seinen Nebengebäuden konnten bis zu 4000 Personen untergebracht und abgefertigt werden. Empfangshallen für die verschiedenen sozialen Klassen, Speisesaal, Küche, jeweils vier Schlafsäle für je 250 Personen in drei Stockwerken, elektrisches Licht, eine Klinik, ein Telegraphenamt, Bäder mit Warmwasser: Nach der zwanzigtägigen Schiffsreise aus Europa bot es für viele Einwanderer einen nicht geahnten Luxus. Gegessen wurde in Schichten, ein Glockensignal signalisierte den Wechsel. Geweckt wurde sehr früh. Zum Frühstück gab es Kaffee oder Mate und Brot aus der eigenen Bäckerei, Frauen hatten Gelegenheit, Wäsche zu waschen, während die Männer in der Arbeitsvermittlung eine Tätigkeit ausfindig zu machen suchten. Um 15 Uhr bekamen die Kinder eine Zwischenmahlzeit, um 18 Uhr begann das Abendessen, von 19 Uhr an waren die Schlafsäle geöffnet. Die Einreisewilligen konnten auch schon in die Stadt gehen, um sich vorsichtig an die neue Umgebung zu gewöhnen.
An dem Entwurf des dreistöckigen Gebäudes, eines der ersten Stahlbetonbauwerke des Landes, war der aus Budapest stammende Architekt Johannes Kronfuß (1872 bis 1944) entscheidend beteiligt. Mit der Errichtung war 1906 begonnen worden. Man wollte die Immigrantenwellen effektiver bewältigen, die Ankömmlinge besser versorgen und wohl auch besser überwachen. Zunächst war die Anlegestelle für die Dampfschiffe ausgebaut worden, danach wurden Büros, Direktion und Hospital eingerichtet, am Ende kam das Hotel hinzu. Vorher mussten die Einwanderer in Asylen in der Stadt übernachten.
Ein Teil der Einreiseformalitäten wie die erste Überprüfung der Reisedokumente und die medizinische Untersuchung der Passagiere wurde an Bord der Schiffe erledigt. Wer die Einreisebedingungen nicht erfüllte, wer zum Beispiel ansteckende Krankheiten hatte, invalid oder psychisch krank war, den ließ man gar nicht erst an Land. Für die Gepäckkontrolle stand eine große Halle bereit. Die nützlichste Einrichtung war zweifellos die Arbeitsvermittlung. Von 1913 an wurden dort Männern Kurse in der Handhabung der in Argentinien üblichen landwirtschaftlichen Maschinen angeboten, Frauen konnten sich in Handarbeiten unterweisen lassen. In dem Büro liefen die Meldungen von Betrieben ein, die Arbeitswillige suchten. Es gab auch eine Übersetzungsabteilung, weil viele Einwanderer des Spanischen nicht mächtig waren. Im Erdgeschoss gab es eine Filiale der Nationalbank, in der Geld gewechselt werden konnte.
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Für die Hygiene: Die Betten waren nur mit Tüchern bespannt.
Die hauseigene Klinik war mit den damals modernsten Apparaturen ausgestattet. Vor allem die ärmeren Ankömmlinge waren von der langen Seereise und der schlechten Verpflegung ausgezehrt. Im Haus wurde auf Hygiene geachtet. Die Betten waren nicht mit Matratzen, sondern mit Spanntüchern ausgestattet, um sie leichter sauber halten zu können. Die Übernachtung in den Schlafsälen war unentgeltlich. Im Durchschnitt verbrachten die Immigranten fünf Nächte in dem Hotel. Wer krank war oder keine Arbeit fand, konnte länger bleiben. Die Hauptmahlzeiten, die auf Blechtellern serviert wurden, bestanden aus einer Suppe und einem Eintopf mit Fleisch, Reis oder Nudeln.
In den ehemaligen Schlafsälen, die als Museumsräume neu hergerichtet wurden, ist nur ein Bruchteil des Materials zu sehen, das sich im Lauf der Zeit in dem Haus angesammelt hat. Dazu zählen Passagierlisten wie jene des Dampfers „Coburg“, der an Heiligabend eines nicht mehr zu eruierenden Jahres in den Kabinen der zweiten Klasse 14 Edelpassagiere, durchweg mit deutschen Namen, nach Buenos Aires brachte, in den „Auswandererdecks“ aber 1700 Personen transportieren konnte. Zu sehen sind Kuriositäten wie ein „Deutsches Kochbuch für Südamerika“ oder die Gerätschaften eines Friseurs und das Einwanderungsdokument von Albert Einstein. Aber auch das Papier des spanischen Dichters Federico García Lorca, der sich 1933/34 ein halbes Jahr in Buenos Aires aufhielt.
Nicht zu übersehen ist ein großes Modell des Transatlantik-Dampfers „Tubantia“ des Königlich Holländischen Lloyd, der am 16. März 1916 im Ersten Weltkrieg auf der Fahrt von Amsterdam nach Buenos Aires im Ärmelkanal von einem deutschen U-Boot versenkt wurde. Die Besatzung und alle Passagiere konnten sich auf andere Schiffe retten.
Bei früheren Versuchen, in den ehemaligen Hotelräumen ein Museum der Erinnerung an die Zeit der großen Einwanderungswellen einzurichten, war ein komplett mit den historischen Betten und ihrer Tuchbespannung ausgestatteter Schlafraum gezeigt worden. Jetzt werden nur noch wenige Betten zur Schau gestellt, Spiegel sollen den Eindruck einer Massenunterkunft suggerieren. Zahlreiche Fotos vermitteln immerhin die Atmosphäre in dem Bau, der für die meisten Neu-Argentinier den ersten Kontakt mit dem „gelobten Land“ darstellte.
Die Ausstellung begreift sich allerdings als „work in progress“. Die Gestalter des neuen Immigrations-Museums rufen ihre Landsleute ausdrücklich auf, mit Fotos, Briefen, Erinnerungsstücken und Dokumenten jeder Art zur Bereicherung der Ausstellung beizutragen, wenn sie aus einer Einwandererfamilie stammen. Und das sind praktisch alle: Fast jeder Argentinier hat das aufzuweisen, was man heute etwas umständlich einen Migrationshintergrund nennt.
Quelle: F.A.Z.
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Buenos Aires: Ein Haus mit Migrationshintergrund
Buenos Aires
Ein Haus mit Migrationshintergrund
Von Josef Oehrlein, Buenos Aires
Das „Immigranten-Hotel“ in Buenos Aires will an die Geschichte der Einwanderung erinnern. Denn sie betrifft fast jeden Argentinier.
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