La Paz/Santa Cruz. Die internationale Atomenergiebehörde IAEA hat den Vorsitzenden für Forschungsreaktoren, Pablo Adelfang, nach Bolivien entsandt, um mit Wissenschaftlern und Regierungsvertretern über notwendige Schritte für einen Einstieg in die zivile Nutzung der Atomenergie zu beraten. Damit entsprach die Organisation der Vereinten Nationen einem offiziellen Gesuch der Regierung. Mit dem Besuch der IAEA und dem jüngsten Abschluss eines Entwicklungsabkommens mit Argentinien nimmt das Vorhaben Boliviens nun konkretere Formen an. Demnach soll das erste Atomkraftwerk 2025 im Verwaltungsbezirk La Paz Strom produzieren. Die Regierung wird hierzu Investitionen von mehr als zwei Milliarden US-Dollar tätigen.
Präsident Evo Morales hatte zwar bereits seit Jahresbeginn mehrmals angekündigt, man habe den Wunsch, künftig auch auf Atomstrom zu setzen. Bestätigt wurde der Regierungsplan aber erst Ende August von Vizepräsident Álvaro García Linera. Er verteidigte zum Abschluss des internationalen Gas- und Energiekongresses in Santa Cruz die Entscheidung damit, dass man die "moralische Verpflichtung" habe, den Nutzen und die "wohltätige Entwicklung dieser fundamentalen Kraft der Natur" zu erreichen, und so die "mentalen Kolonialketten" zu sprengen. Im Folgemonat verkündete die Minengewerkschaft den Fund reicher Uranvorkommen im Norden Santa Cruz, jedoch konnten zu diesem Zeitpunkt keine Angaben über die Menge gemacht werden. Morales skizzierte dann inmitten des Präsidentschaftswahlkampfs das zukünftige Atomprogramm, ohne es zum zentralen Thema zu machen. Er bezeichnete es als Bestandteil seiner Vision, aus Bolivien "das Energiezentrum Südamerikas" zu machen.
Die ausschließlich friedliche Nutzung der Nukleartechnik, zu deren Entwicklung Russlands Präsident Wladimir Putin bereits gegenüber Morales ein Angebot unterbreitet hat, soll sich aber nicht nur auf den Energiesektor beschränken. Auch zur medizinischen Diagnostik, zur Konservierung von Agrarprodukten und Verbesserung von Samen und Böden soll sie genutzt werden, wie es in führenden Industrieländern üblich ist, betont die Regierung. Man habe sich auch mit dem Iran ausgetauscht, wie Entwicklungsministerin Viviana Caro bestätigte, führe aber vor allem Gespräche mit Frankreich und Argentinien.
Pablo Adelfang beim Interview in der bolivianischen Sendung "El Pueblo es Noticia" vom Sonntag
Bolivien und das Nachbarland verbinden Ambitionen, den technischen Fortschritt unabhängig vom globalen Norden voranzutreiben. Anfang des Monats unterzeichneten sie deshalb in Santa Cruz ein Entwicklungsabkommen, das eine enge Zusammenarbeit in der Fernsehkommunikation, Meteorologie, Raumfahrttechnik, Energieversorgung und Überwachung des Luftraums zur besseren Drogenbekämpfung vorsieht. Herzstück stellt jedoch der Austausch von Nukleartechnik dar. So soll Bolivien in der Medizin demnächst über mehrere Kernspintomografen und ein Bestrahlungsgerät verfügen.
In Vorbereitung zum Atomeinstieg wird im zweiten Halbjahr 2015 an der bolivianischen Universität von San Andrés (UMSA) ein virtueller Reaktor gestartet, der sein Betriebssignal aus Argentinien beziehen wird. Ecuador und Kuba werden es Bolivien gleich tun. Neben der finanziellen Ausstattung sei die Ausbildung des nötigen Personals für ein mögliches Atomvorhaben von zentraler Bedeutung, wozu das Forschungsprojekt dienen werde. Dies erklärte der Argentinier Pablo Adelfang von der IAEA, der das Projekt zunächst unterstützen und koordinieren wird. Nach intensiven Gesprächen mit Regierung und Universität unterstrich er gegenüber den staatlichen Medien, seine Aufgabe sei lediglich zu beraten und Wissen zu vermitteln, "damit das Land die Entscheidung treffen möge, ob es ein Atomenergieprojekt in Angriff nehmen wird oder nicht". Es sei "eine Entscheidung aller Bolivianer" und er könne deshalb keine weitere Empfehlung aussprechen, als den Prozess zu öffnen. "Studieren Sie alles gut, analysieren Sie es gut, diskutieren Sie es gut", so Adelfang.
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