Autostandort Deutschland China und Indien machen Autobauern das Leben … – FAZ

© REUTERS
Audi-Werk in Ingolstadt: Noch hat „Made in Germany“ einen guten Klang

Es klingt absurd. Aber bei BMW in Argentinien gibt es seit kurzem neben Luxuslimousinen auch Leder und Reis im Sortiment. Beim Leder geht es nicht etwa um die Sitze der Autos und beim Reis auch nicht um die Beilage für Kunden-Dinner. Nein, der Münchener Konzern erfüllt damit vielmehr Gesetze des Landes: Nach einer Vorgabe der Regierung in Buenos Aires muss der Import von Gütern durch Ausfuhren in gleichem Umfang ausgeglichen werden.

Das gilt auch für die Einfuhr von Autos, sonst werden die Wagen beim Zoll festgehalten. BMW exportiert deshalb zwangsweise in großem Stil - wie groß, wird auch auf Anfrage nicht verraten - Agrargüter aus Argentinien, um im Gegenzug wieder Autos in das südamerikanische Land liefern zu dürfen. Mag der Fall Argentinien wegen der geringen Bedeutung des Marktes auch Heiterkeit auslösen, so wird die Sache anderswo zu einer ernsten Schwierigkeit für die deutsche Autoindustrie: die Abschottung von großen und wachsenden Märkten wie Brasilien, China, Indien oder Russland durch hohe Einfuhrzölle oder andere Handelshemmnisse.

Zwei Drittel der deutschen Neuwagen laufen im Ausland vom Band

Oft verbarrikadieren Schwellenländer ihre wachsenden Märkte zusätzlich hinter besonderen Auflagen für Sicherheitsausrüstung oder speziellen Umweltauflagen. Um diese Zölle und sonstige Erschwernisse zu umgehen, bauen die deutschen Konzerne immer öfter neue Fabriken vor Ort. Die Folgen machen sich schon jetzt in Deutschland bemerkbar: In der ersten Hälfte dieses Jahres sind der Export und die Inlandsproduktion deutscher Autos auf den niedrigsten Stand seit dem Krisenjahr 2009 gesunken. Zwei Drittel der Neuwagen deutscher Hersteller laufen inzwischen im Ausland vom Band.

„Sorgen bereitet uns, dass der Protektionismus weltweit zugenommen hat“, sagt Matthias Wissmann, Verbandspräsident der Autoindustrie. Die Besorgnis des Lobbyisten verwundert nicht: Die deutsche Autoindustrie exportiert noch immer rund drei Viertel ihrer Inlandsproduktion. Aber die Alarmzeichen nehmen zu: Um mehr als ein Drittel - genau 36 Prozent - ist der Export deutscher Autos nach China in der ersten Jahreshälfte geschrumpft. Zugegeben: Ein Teil des enormen Einbruchs ist pure Statistik-Willkür. So werden Bausätze für Autos aus Deutschland nach China geliefert und die zusammengeschraubten Fahrzeuge neuerdings komplett China zugerechnet.

Aber der Rückgang ist auch der Verlagerung von Produktion geschuldet. China erhebt schon seit einiger Zeit Strafzölle auf Autos, die aus den Vereinigten Staaten importiert werden, und erwägt jetzt auch einen Strafzoll auf Autos aus Europa, um sich so für die Zölle der Europäer auf Solarmodule zu rächen. Hiesige Vorstandschefs machen sich Mut, dass dieses Szenario nicht eintritt: „Ich sehe nicht, dass sich ein Konfliktpotential entwickeln wird“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche.

Nur die luxuriösesten Karossen kommen noch direkt aus Deutschland

Doch nicht zuletzt wegen solcher Drohungen aus Peking wird der chinesische Markt zunehmend aus China bedient. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht Volkswagen, Daimler oder BMW eine neue Fabrik in China einweihen. Was in Fernost an neuen Kapazitäten entsteht, könnte in Westeuropa bald verschwinden. VW investiert zwar 3,6 Milliarden Euro in das Stammwerk Wolfsburg, aber das sind nur 7 Prozent der gesamten Investitionen des Konzerns von 50 Milliarden Euro. Der Löwenanteil fließt ins Ausland.

Die Produktion folgt dem Markt. „Wir gehen davon aus, dass es in den kommenden Jahren in immer mehr Ländern protektionistische Tendenzen geben wird, die uns zu schaffen machen. Dies führt auch dazu, dass wir in den Schwellenländern verstärkt über lokale Produktion wachsen“, sagt BMW-Chef Norbert Reithofer. Nur die luxuriösesten Karossen werden noch direkt aus Deutschland nach China geliefert, weil die Kunden der S-Klasse oder Porsche-Käufer noch Wert legen auf „Made in Germany“.

Argentinien und China sind keine Einzelfälle beim Protektionismus: In Brasilien ist im Dezember 2011 ein neues Gesetz in Kraft getreten, das eine Steuererhöhung von 30 Prozentpunkten auf importierte Fahrzeuge vorsieht. Je nach Fahrzeugtyp steigt die Importsteuer von 7 auf 37 Prozent beziehungsweise von 13 auf 43 Prozent. BMW errichtet deshalb ein neues Werk in Brasilien, um die Einfuhrzölle zu umgehen. Und der Stuttgarter Konkurrent Daimler plant eine gemeinsame Montagefabrik mit dem japanischen Partner Nissan in Mexiko. Kaum besser sieht es in Indien - mit einem Einfuhrzoll von bis zu 100 Prozent - oder in Russland aus.

Der Protektionismus der Schwellenländer verschärft die Lage in Europa

Wer den russischen Automarkt verstehen will, muss das berüchtigte „Dekret 166“ kennen, das im Jahr 2016 in Kraft tritt. Erlassen hat es Staatspräsident Wladimir Putin. Es besagt, dass jeder ausländische Autohersteller, der weiter in den Genuss eines reduzierten Einfuhrzolls kommen will, mindestens 300.000 Autos in Russland produzieren muss. Hinzu kommt eine willkürliche Recyclinggebühr, die auf importierte Wagen erhoben wird. Solche Schikanen sind der Grund, warum sich alle Massenhersteller beeilen, ihre Kapazitäten in Russland aufzustocken. Geht es doch um den bald größten Absatzmarkt in Europa.

Der Protektionismus der Schwellenländer verschärft die schwierige Lage der Autoindustrie in Europa - zumal sich ihr Heimatmarkt für Importe, die in der umgekehrten Richtung aus Fernost kommen, weitgehend geöffnet hat. Die hiesigen Volumenhersteller wie Ford, Opel oder Peugeot-Citroën müssen nicht nur Fabriken schließen, weil die Nachfrage seit Jahren schrumpft. Ford schließt Werke in Belgien und England, Opel macht den Standort Bochum dicht, und Peugeot beendet die Produktion in Aulnay bei Paris.

Bedeutungsverlust der westeuropäischen Produktionsstandorte

Anders als die deutschen Premiummarken Audi, BMW und Mercedes müssen sie in der Flaute auch noch mit importierten Billigautos aus Indien und Korea konkurrieren. Schon hat der besonders stark unter Druck geratene französische Peugeot-Konzern versucht, in Brüssel bei der EU-Kommission eine Beschränkung der Korea-Importe durchzusetzen. Vergeblich. Protektionismus in Übersee, Absatzflaute in Europa - die Folge ist ein Bedeutungsverlust der westeuropäischen Produktionsstandorte. In Italien hat sich die Produktion seit dem Jahr 2000 um zwei Drittel auf 640.000 Einheiten verringert.

Italien ist damit hinter Polen zurückgefallen. Auch in Frankreich laufen mit nur noch zwei Millionen Einheiten über ein Drittel weniger Neuwagen vom Band als im Jahr 2000. Die Fabrikschließungsorgie ist noch nicht vorüber. „Was sich jetzt durchsetzt, ist die Erkenntnis, dass die Marktschwäche noch lange anhalten wird. Dadurch steigt der Druck, die Überkapazitäten abzubauen“, sagt Elmar Kades von der auf Sanierungsfälle spezialisierten Unternehmensberatung Alix Partners. Innerhalb Europas konnte nur Deutschland seinen globalen Rang behaupten und bleibt viertwichtigster Autostandort der Welt.

Während die Schwellenländer ihre eigene Industrie durch Einfuhrzölle vor ausländischer Konkurrenz schützen, scheint das Auto in Europa seine besten Zeiten hinter sich zu haben. Hier werden 2013 so wenige Neuwagen verkauft wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Und die Autos, die auf deutschen Straßen herumfahren, sind - das ist auch ein Zeichen allgemein zunehmender Qualität - inzwischen im Durchschnitt neun Jahre alt. Der Käuferstreik macht auch vor Deutschland nicht mehr halt, wo das Auto lange Zeit das Statussymbol Nummer eins war.

„Das Automobil ist so erfolgreich, dass es nur einen wirklichen Feind hat, nämlich sich selbst“, sagte der langjährige BMW-Chef Eberhard von Kuenheim. „Seine massenhafte Verbreitung ist eine Herausforderung an die Zukunft des Straßenverkehrs.“ Die Anzeichen, dass das Auto in Europa seinen Zenit überschritten haben könnte, nehmen zu. „Peak Car“ - mit diesem an die Ölindustrie angelehnten Schlagwort beschreibt die Investmentbank Morgan Stanley die Situation.

Gemeint ist: der Höhepunkt der Motorisierung mit eigenem Fahrzeug sowie des Fahrzeugbestands und der Höhepunkt der mit dem Auto pro Person gefahrenen Kilometer wird in vielen Ländern Europas gerade überschritten. Auch in den Metropolen mancher Schwellenländer zeichnet sich ein Ende des ungebremsten Wachstums ab: In Peking werden Neuzulassungen verlost, in Schanghai werden sie versteigert. Aber selbst der Blick auf das Auto-Kernland Deutschland zeigt eine Reihe von für die Autoindustrie besorgniserregenden Entwicklungen: Die Neuzulassungen stagnieren seit Jahren.

Selbstdiagnose: Der Markt ist gesättigt

Junge Käufer bis 35 Jahre werden in den Autohäusern selten. Die Deutschen machen immer später ihren Führerschein. Carsharing erlebt - unter der Ägide von Daimler und BMW mit ihren Spontanmietangeboten „Car-2-go“ und Drive Now“ - einen Boom. Damit zeichnet sich zum ersten Mal seit langer Zeit eine Wende ab: Zwischen 1960 und 2000 verzehnfachte sich der Autobestand beinahe. Kamen 1955 auf 1.000 Einwohner lediglich 24 Autos, so sind es heute über 500. Nimmt man jedoch den Boom der Wiedervereinigung sowie das Jahr der Abwrackprämie aus, zeigt sich schon seit Jahren eine schleichende Abnahme.

Die deutsche Autoindustrie selbst diagnostiziert einen gesättigten Markt. Viele Entwicklungen scheinen dem Auto zu schaden: Immer mehr Menschen ziehen rund um den Globus in die Städte. Staus, Luftverschmutzung und Parkplatznot sprechen dort gegen das Privatauto. Das Auto als Großinvestition mit einem Durchschnittspreis für Neuwagen von 26.000 Euro schreckt vor allem junge Menschen, die häufig unstet beschäftigt sind.

Smartphone oder Tablet werden zur alternativen Mobilitätszentrale für die Vernetzung der Verkehrsmittel. Noch ist China, wo mehr Neuwagen verkauft werden als in ganz Westeuropa, der Treiber für die Autoindustrie. Derzeit kommen 37 Autos auf 1000 Chinesen, in Westeuropa sind es 500 Autos je 1.000 Einwohner. Aber die neuen Autos werden künftig seltener aus europäischer Produktion stammen.

Quelle: F.A.Z.

Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben




 
Weitersagen
Kommentieren

Merken
Drucken


 
Beitrag per E-Mail versenden

Autostandort Deutschland: „Peak Car“ in Europa

Autostandort Deutschland

China und Indien machen Autobauern das Leben schwer


Von Christoph Ruhkamp

In Europa werden immer weniger Autos gekauft; das Wachstum für VW, BMW und Daimler kommt aus China, Indien, Brasilien. Doch die Schwellenländer verbarrikadieren sich hinter Zollschranken.

Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingaben.


E-Mail-Adresse des Empfängers
(Mehrere Adressen durch Kommas trennen)


Ihre E-Mail Adresse


Ihr Name (optional)



Ihre Nachricht (optional)


Sicherheitscode


Um einen neuen Sicherheitscode zu erzeugen, klicken Sie bitte auf das Bild.


Bitte geben Sie hier den oben gezeigten Sicherheitscode ein.

 

Beitrag per E-Mail versenden

Vielen Dank
Der Beitrag wurde erfolgreich versandt.






Open all references in tabs: [1 - 8]

Leave a Reply