Nein, die ganz großen Bühnen des Weltfußballs sind es nicht, die Lionel Messi, Neymar und James Rodriguez in den nächsten drei Wochen in Chile betreten. Die Copa America, das älteste Nationenturnier der Welt, wirkt mit seinen kleinen Arenen in so exotischen Spielorten wie Antofagasta (22.000 Zuschauer), Rancagua (14.000) oder Temuco (19.000) wie eine Zeitreise in längst vergessene Fußballzeiten. In eine Epoche, als Fußballstadien noch Kampfbahnen waren und keine Multifunktionstempel mit VIP-Logen und fliegendem Kamera-Auge. Und doch dürfte die Südamerikameisterschaft das sportlich bestbesetzte Turnier in der langen Geschichte dieses traditionsreichen Wettbewerbs der Neuen Welt sein, auch wenn Uruguays Topstar Luis Suárez, vor vier Jahren noch zum besten Spieler des Turniers in Argentinien gewählt, immer noch gesperrt ist.
Irgendwie wirken die Stars wie der Argentinier Messi, der Kolumbianer James Rodriguez oder der Brasilianer Neymar, die inzwischen eigene Unterhosenlabels haben oder für chinesische Telekommunikationskonzerne mit riesigen Plakaten auf südamerikanischen Flughäfen werben, wie Außerirdische aus einer entfernten Galaxie, die nur zufällig einen Zwischenstopp in Chile machen. Denn zuhause sind Südamerikas Top-Stars auf ihrem Kontinent schon lange nicht mehr. Keiner der Drei hat nach der WM 2014 in Brasilien einen Fuß auf südamerikanischen Boden gesetzt, um dort für Ruhm und Vaterland auf Torjagd zu gehen – von den bedeutungslosen Testspielen im unmittelbaren Vorfeld der Copa einmal abgesehen.
- Brasilianisches Nationalteam: Neymar muss immer spielen
Längst lenken dubiose Marketing-Agenturen die Stars aus Buenos Aires, Bogota, und São Paulo über den ganzen Globus weit weg nach Peking, Singapur oder Kuweit. Ob das auch in Zukunft so bleiben wird, hängt unmittelbar von den Ermittlungsergebnissen der amerikanischen Justiz ab, die im Zuge der Ermittlungen gegen den Internationalen Fußballverband (Fifa) auch einen Blick auf die Abrechnungspraktiken bei Testspielen der südamerikanischen Verbände werfen. Nur bei den südamerikanischen WM-Qualifikationsspielen, den Eliminatorias, die wenige Monate nach der Copa America beginnen, und eben der Südamerika-Meisterschaft zieht es die südamerikanischen Weltstars zurück in die Heimat.
Neymar trifft auf seinen Peiniger
In der chilenischen Provinz wird sich auch entscheiden, ob Lionel Messi in die Fußstapfen von Diego Maradona oder Pelé treten wird oder nicht. Die beiden Fußball-Ikonen haben nämlich genau wie bislang Messi die Copa America nie gewonnen. Nun aber soll es endlich klappen mit dem ersten Titel seit 1993, als Argentinien zuletzt einen Pokal gewinnen konnte. Seitdem musste sich die Auswahl aus Buenos Aires, Cordoba oder Rosario bei einer WM, Copa America oder Konfed-Cup stets geschlagen geben. Im Nationaltrikot steht hinter dem Namen Messi in der Titelsammlung noch eine Null.
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Südamerikanisches Duell: Der Kolumbianer James Rodriguez (links) gegen Arturo Vidal (Chile)
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Südamerikanisches Duell: Der Kolumbianer James Rodriguez (links) gegen Arturo Vidal (Chile)
Auch für den Brasilianer Neymar geht es darum, die nationale Fußballseele zu versöhnen. Beim WM-Aus gegen Deutschland (1:7) im historischen Halbfinale von Belo Horizonte fehlte Neymar verletzt. Er wird seinen Peiniger Carlos Zuniga, der ihm im Viertelfinale mit einem Tritt in den Rücken aus dem Turnier beförderte, in wenigen Tagen im Vorrundenduell gegen Kolumbien in Santiago wiedersehen. Die brasilianischen Fans sind sich nach dem Triumph des FC Barcelona in der Champions League mit den wichtigen Neymar-Toren sicher: Mit ihm wäre das damals gegen Deutschland alles nicht passiert. Brasiliens neuer und alter Trainer Carlos Dunga, der 2007 in Venezuela zuletzt die Copa gewann, hat sich noch nicht zu einem radikalen Neuanfang durchringen. Der in die Jahre gekommene Robinho ist so immer noch dabei. Sollte Neymar nicht den erhofften Titelgewinn in Chile garantieren können, wird es für Dunga schon wieder unangenehm werden.
Vidal will Rache
Bleiben mit Chile und Kolumbien zwei heiße Außenseiter als Titelanwärter. Kolumbien kommt mit einer Auswahl an echten Topstars aus den europäischen Topligen nach Chile. Trainer José Pekerman, der in Kolumbien ungemein verehrt wird, fand sich bei der jüngsten Präsidentschaftswahl im vom Bürgerkrieg zerrissenen Land sogar auf vielen Tausend Stimmzetteln wieder. Es wäre der erste wirklich ganz große Erfolg für Kolumbien, das erst einmal bei der Copa America 2001 im eigenen Land triumphieren konnte. Damals traute sich Argentinien wegen der Bombenattentate erst gar nicht nach Kolumbien, und Brasilien schickte eine C-Auswahl.
Bei den Gastgebern aus Chile hat vor allem einer eine Rechnung mit den Außerirdischen offen: Arturo Vidal will seinen Widersachern aus dem Champions-League-Finale in Berlin in den nächsten Wochen das Leben so schwer wie möglich machen. In der Nacht zum Freitag wird Chile mit der Partie gegen Ecuador die Copa America eröffnen. Der Mittelfeldstar von Juventus Turin ist einer wenigen Akteure aus der fernen, glitzernden Fußballwelt, der das unwirtliche Terrain in Chiles Andenstädten wirklich aus eigener Erfahrung kennt.