Aufarbeitung der Diktaturverbrechen in Argentinien vor Abschluss?

Buenos Aires. Bis Ende des Jahres sollen die 14 derzeit noch laufenden Prozesse gegen Verantwortliche für während der Diktatur in Argentinien (1976 bis 1983) Verschwundene, Getötete, Entführte und Gefolterte beendet sein. Angeklagt sind vor allem ehemalige Angehörige des Militärs, der Polizei und der Geheimdienste. In den Prozessen sind 68 Personen angeklagt, die für 483 Opfer verantwortlich sein sollen. Zum ersten Mal gibt es auch eine Untersuchung für Verantwortliche der sogenannten Todesflüge, bei denen politische Gefangene ins Meer geworfen wurden. Die Prozesse sollen bis zum Ende der Amtszeit von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner abgeschlossen sein.

Auf Initiative der Regierung des damaligen Präsidenten Néstor Kirchner waren im Jahr 2005 die Amnestiegesetze aus den 1980er Jahren, die eine Strafverfolgung und Verurteilung von Verbrechen der Militärdiktatur verhinderten, aufgehoben worden. Laut dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur sind seitdem 563 Personen verurteilt worden. Während der Diktatur wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen in Argentinien mindestens 30.000 Menschen umgebracht oder verschwanden nach ihrer Entführung durch Polizei und Militär. Ein Großteil dieser Verbrechen geschah im Rahmen der vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA angeleiteten Operation Cóndor. Die lateinamerikanischen Diktaturen arbeiteten dabei in den 1970er und 1980er Jahren zusammen, um politische Gegner auszuschalten.

Gegen einen Schlussstrich unter die juristische Aufarbeitung von Diktaturverbrechen richtet sich ein Gesetzentwurf, der unlängst bei einer öffentliche Anhörung im Nationalkongress vorgelegt wurde und auf die Öffnung der staatlichen Archive abzielt. Der Entwurf wurde von den Abgeordneten Myriam Bregman und Nicolás del Caño eingebracht. An der Anhörung nahmen unter anderem Elsa Pavón und Nora Cortiñas von der Organisation der Großmütter und der Mütter des Plaza de Mayo, Vertreter der Vereinigung ehemaliger Gefangener-Verschwundener und anderer Vereinigungen von Diktaturopfern teil und unterstützten das Vorhaben.

Die ehemalige Technikschule der Marine diente während der Militärdiktatur als Folterzentrum

Aktivisten verschiedener Menschenrechtsorganisationen gingen am 19. September für das Projekt auf die Straße. Ohne die Öffnung der staatlichen Archive könnten viele Fälle nicht geklärt werden, Verurteilungen von Verantwortlichen würden verhindert. Die Regierung müsse alle Unterlagen offenlegen, so die Forderung.

Der 19. September war der neunte Jahrestag des Verschwindens des Schlüsselzeugen Jorge Julio López gegen den während der Diktatur hochrangigen Polizisten Miguel Etchecolatz. López war am 21. Oktober 1976 illegal festgenommen und in verschiedene Geheimgefängnisse verschleppt worden. Bis zum 25. Juni 1979 war er "verschwunden". In dieser Zeit war Etchecolatz Chef des polizeilichen Geheimdienstes der Provinz Buenos Aires, zuständig für eines der Folterzentren und rechte Hand von General Ramón Camps, dem Polizeichef von Buenos Aires und ab 1977 Leiter der Bundespolizei. Etchecolatz wurde am 19. September 2006 zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Am Tag der Urteilsverkündung "verschwand" López unter bis heute ungeklärten Umständen, von ihm fehlt seitdem jede Spur.

Die Abgeordnete Bregman, die auch Anwältin von López ist, sagte bei der Anhörung, es sei bekannt, dass der frühere Geheimdienstchef (1972 y 2014) Jaime Stiuso persönlich Ermittlungen im Fall des Verschwundenen geführt habe. Es gebe die Akten und Hinweise, die nie weiterverfolgt worden seien. Diese Unterlagen müssten zugänglich gemacht werden. Enrique Fukman vom Verband der Ex-Gefangenen-Verschwundenen warf dem Staat vor, ehemalige Polizisten und Gefängnispersonal zu decken, die in Verbrechen verwickelt waren. Mit dem Verschwindenlassen von López sei bezweckt worden, Terror zu verbreiten und so die Prozesse gegen Verantwortliche der Diktatur zu beenden. Dies sei durch große Mobilisierungen verhindert worden, aber es gebe erneut Bemühungen für einen "Schlussstrich" und eine "Versöhnung mit den Mördern". Diese zielten heute darauf ab, die Gerichtsverfahren gegen verantwortliche Unternehmer zu stoppen. Man werde erneut auf die Straße gehen,  "um zu zeigen, dass ihnen das nicht gelingen wird".

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