«Heute ist der 31. Juli, und die Welt dreht sich noch.» So beginnt Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ihre erste Ansprache ans Volk nach den gescheiterten Verhandlungen zwischen der Regierung und den sogenannten Geierfonds. Nachdem sie die amerikanische Justiz, den Kapitalismus und das internationale Finanzsystem kritisiert hat, versteigt sie sich zu einem Vergleich mit dem Krieg im Gazastreifen: «Wir leiden auch unter Gewalt. Auf uns haben sie Finanzraketen abgeschossen.»
Die Einschätzung, ihr Land sei zum zweiten Mal binnen 12 Jahren zahlungsunfähig, weist Fernández zurück. Argentinien habe bei der Bank of New York 539 Millionen deponiert, um restrukturierte Anteilscheine zu bedienen. Dass die Auszahlung nicht fristgerecht erfolgte, habe der New Yorker Richter Thomas Griesa mit seinem «den Wucherern dienenden Urteil» zu verantworten. Der Derivateverband Isda hat inzwischen auf Antrag der UBS einen Zahlungsausfall des südamerikanischen Landes festgestellt, womit die Ausschüttung von Kreditausfallversicherungen in Höhe von 1 Milliarde Dollar fällig wird.
Das ideale Feindbild
Skeptisch äusserte sich die Präsidentin zur Möglichkeit, wonach eine Gruppe von Privatbanken den Hedgefonds ihre Anteile abkaufen und damit die Schuldenkrise entschärfen könnten. Argentinische Medien berichten, Banken und Hedgefonds hätten sich in New York beinahe geeinigt, doch habe der junge argentinische Finanzminister Axel Kicillof durch unbedachte Äusserungen während einer Pressekonferenz alles wieder zerstört. Fernández stellt sich nun derart entschieden hinter Kicillof, dass bereits Spekulationen umgehen, sie wolle ihn im Hinblick auf die Wahlen 2015 als Nachfolger positionieren.
Um die Auswirkungen der Krise auf Bevölkerung und Unternehmen abzufedern, kündigte die Präsidentin mehrere Massnahmen an. Sie laufen auf eine Erhöhung der Staatsausgaben sowie auf eine Verschärfung der Preiskontrollen hinaus. Unter anderem sollen die Altersrenten um 17 Prozent steigen.
Das Vorgehen der Geierfonds ist moralisch fragwürdig und gefährdet das internationale Finanzsystem. Der Konflikt zeigt aber auch einmal mehr: Argentiniens Präsidentin ist unfähig, einen selbstkritischen Gedanken zu fassen. Stattdessen versucht sie, die Auseinandersetzung mit den Geierfonds, die ein geradezu ideales Feindbild abgeben, politisch auszuschlachten.
Schlechter Stil
Was sie und ihre Gefolgsleute verschweigen: Die argentinische Regierung hat sich bei den Umschuldungsverhandlungen 2005 und 2010 freiwillig der New Yorker Justiz unterstellt. Dies nicht zuletzt, weil die dortigen Richter dafür bekannt sind, im Zweifelsfalle zugunsten der Gläubiger zu entscheiden und Verträge buchstabengetreu auszulegen. Die durch den Staatsbankrott Geschädigten waren deshalb eher bereit, auf die von Argentinien vorgeschlagenen Bedingungen einzugehen – mit dem für die Regierung angenehmen Nebeneffekt, auf die neu ausgestellten Verbindlichkeiten tiefere Zinsen bezahlen zu müssen.
Sich auch aus Eigennutz einem Justizsystem zu unterstellen, um dann bei einem verlorenen Prozess dessen Seriosität zu bestreiten, ist schlechter Stil. Vor allem aber schmälert es das ohnehin angeschlagene Vertrauen internationaler Investoren in das Land.
Vor dem Scheitern der Verhandlungen in New York berichteten argentinische Zeitungen ausgiebig über Amado Boudou, der als erster Vizepräsident in Argentiniens Geschichte wegen Korruption vor den Richter muss. Der Streit mit den Geierfonds hat dem Thema seine Würze genommen. Bevor das Land zahlungsunfähig wurde, machte eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Regierung für schwächelnde Konjunktur, Devisenknappheit und die exorbitante Jahresinflation von mehr als 30 Prozent verantwortlich. Die Beliebtheit der Präsidentin war auf 26 Prozent gesunken.
Die Schuld abwälzen
Künftig wird Fernández die grösstenteils selbst verschuldete Misere den raffgierigen Geierfonds und der imperialistischen US-Justiz anlasten. Kritiker bezeichnen Fernandez’ Taktik als «Malvinisierung» der Schuldenkrise: eine Anspielung auf den Militärdiktator Leopoldo Galtieri, der 1982 die Falkland-Inseln (spanisch: Islas Malvinas) besetzen liess, um von hausgemachten Problemen abzulenken und das Volk in einen kurzen, aber umso heftigeren nationalistischen Taumel zu stürzen.
«Vaterland ja, Kolonialismus nein», sangen auch Cristina Fernández’ Zuhörer im Präsidentenpalast. Es besteht der Verdacht, die Präsidentin habe es im Streit mit den Hedgefonds nicht nur aus Prinzipienfestigkeit und Sorge um das nationale Wohl zum Äussersten kommen lassen, sondern auch, um gegen Ende einer verpatzten zweiten Amtszeit als Heldin dazustehen. Den politischen Gewinn der Schuldenkrise gewichtet sie offensichtlich höher als die zu befürchtenden ökonomischen Folgen.
Wundersame Anhäufung von Vermögen
Als Fernández’ Gatte Néstor Kirchner 2003 nach dem vom damaligen Staatsbankrott verursachten sozialen und politischen Erdbeben Präsident wurde, belief sich das Vermögen des Paares laut Steuererklärung auf 2,5 Millionen Dollar. Als Kirchner 2010 einem Herzinfarkt erlag, war der Reichtum auf 18 Millionen angeschwollen. Dieses Wunder erklärte Fernández einmal mit dem lapidaren Hinweis, sie sei früher eine «sehr erfolgreiche Anwältin gewesen» und heute «eine ebenso erfolgreiche Präsidentin». Eine nachvollziehbare Begründung lieferte sie nie, während Indizien auf unlautere Machenschaften, ausländische Schwarzgeldkonten und Beziehungen zu dubiosen Geschäftsleuten existieren, etwa dem Bauunternehmer Lázaro Báez.
Die Geierfonds sind ohne Zweifel gierig – aber es fragt sich, ob Cristina Fernández die richtige Person ist, um ihnen dies vorzuwerfen. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 02.08.2014, 07:49 Uhr)