Es war eine Reise in die eigene Vergangenheit für Eva Leschinski aus Argentinien, in eine unbekannte Vergangenheit. Denn die 71-Jährige mit dem Geburtsnamen Isaacson ist die Enkelin von Julius Isaacson, der bis 1940 mit Frau Selma und Familie in Dinslaken lebte und als Klempner arbeitete - bis das Paar vor dem Nazi-Terror gegen jüdische Einwohner fliehen musste. Eva Leschinski hat ihre Großeltern, die einige Jahre nach der Flucht starben, nicht mehr kennengelernt. Aber sie hat erfahren, dass ein Künstler namens Alfred Grimm für die Familie einen Mahnstein entworfen hat und kam mit ihrem Mann Lutz nach Dinslaken, um die Spuren der Familiengeschichte zu besichtigen. „Hier in Dinslaken ist etwas Großes und ganz Wichtiges zum Verständnis der deutschen und jüdischen Geschichte entstanden“, urteilte sie bei ihrem Besuch.
Das Ehepaar Leschinski lebt in Buenes Aires, Eva arbeitet als Übersetzerin, Lutz (74) hat lange für einen spanischen Konzert gearbeitet. Beide sprechen perfekt Deutsch. So war die Verständigung mit Barbara und Alfred Grimm in Dinslaken kein Problem.
Auf dem Mahnstein an der Eppinghovener Straße ist die Geschichte der Familie Isaacson in kurzen Worten dargestellt. Julius, geboren 1875, und seine Frau Selma Luhs (1878) hatten neun Kinder. Max, Evas Vater, floh zuerst nach Argentinien, 1940 folgten ihm seine Eltern. „Für die anderen war es zu spät geworden. Man durfte nicht mehr ausreisen“, weiß Eva Leschinski. Kurt und Otto schafften es doch noch, nach Argentinien zu gelangen. Vier Geschwister kamen ins Konzentrationslager. Zwei von ihnen, Günter und Werner, verloren dort ihr Leben.
Bei ihrem Rundgang durch Dinslaken besichtigte das Ehepaar aus Argentinien auch das Mahnmal im Stadtpark und staunte über dessen Größe. Barbara und Alfred Grimm erzählten über die Entstehung im Rahmen eines Wettbewerbes 1982. Besonders beeindruckend fanden die Gäste das Durchbrechen des Leiterkarrens durch die Wand und die negative Gestalt des Ordnungshüters.
Gräber von Verwandten entdeckt
Ein bewegender Moment war der Besuch des Mahnsteins für die Familie Isaacson in der Altstadt. Gegenüber der Weinhandlung steht das Haus, in dem Julius Isaacson sein Geschäft geführt hat. Beide Besucher berührten vorsichtig die Bronzeteile des Mahnsteins und die unkende Kröte. Viele Fotos wurden gemacht. „Wir sind extra nach Dinslaken gekommen, um diese Momente festzuhalten. So können wir unseren Kindern und Enkeln von diesen Kunstwerken berichten und sie können etwas von ihrer Herkunft und ihrer Geschichte erfahren“, erklärten sie. Das Ehepaar besichtigte auch die anderen Mahnsteine sowie die Orte, an denen sich früher das Waisenhaus und die Synagoge befanden. Beim Betreten des jüdischen Friedhofes erlebten sie eine freudige Überraschung: Eva entdeckte dort die Grabsteine von drei Verwandten. Ihr Mann Lutz dokumentierte alles mit dem Fotoapparat für die Familie daheim. Insgesamt zwölf Stunden verbrachten die Leschinskis in Dinslaken, bevor sie zu Bekannten nach Hamm und später nach Berlin weiterreisten.
Nicht nur die Besucher, auch die Gastgeber Barbara und Alfred Grimm waren sehr beeindruckt von dem Tag. „Von Anfang an entwickelte sich zwischen uns ein herzliches, offenes und unkompliziertes Verhältnis“, berichtet Alfred Grimm.
Eva Leschinski und ihr Mann haben den Lieben daheim viel zu erzählen. Von der eigenen Vergangenheit, die sie jetzt ein Stück besser kennen.