Argentinische Tanzkultur: Adiós, Tango – FAZ

© Ralf Bittner

Nicht ihr letzter Tango: Das Ehepaar Nicole Nau und Luis Pereyra glaubt an die Zukunft des argentinischen Tanzes

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Nicht ihr letzter Tango: Das Ehepaar Nicole Nau und Luis Pereyra glaubt an die Zukunft des argentinischen Tanzes

Vor den grellbunt bemalten Häusern des Caminito ist an jedem Tag Rummel: Ein Ausflug in diese Straße ist Pflicht für die Touristen in Buenos Aires. Durch das Gewusel vor Freiluftkneipen und Souvenirläden tänzeln Tangopaare. Manche bewegen sich stilecht herausgeputzt und virtuos zur Musik aus einem CD-Player. Andere Paare wollen nur für die Kameras posieren. Ob sie wirklich tanzen können, zeigen sie nicht. In der Boca, dem alten Hafenviertel, ist der Tango allgegenwärtig. Dass er hier entstanden sein soll, ist nur die halbe Wahrheit. Er hatte viele Väter. Wenn sich am Abend die Dämmerung über das frühere Hafenbecken legt, ist der Trubel mit einem Mal vorbei.

Josef Oehrlein



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In vielen Häusern der Boca nistet noch immer der Geist, der die argentinischste aller Musikformen entstehen ließ. Nur einen Steinwurf vom Caminito entfernt, an der Straße des Admiral Brown, steht die Tür zu einem verwunschen wirkenden höhlenartigen Raum offen, aus dem magische Trommelrhythmen dringen. Mit einem Mal herrscht Stille, und es beginnt der klagende Gesang eines Bandoneons.

An unvermutetem Ort, zu unerwarteter Zeit öffnet der Tango am liebsten seine Seele. In dem Theaterchen arbeitet eine Tangotanztruppe an ihrem Programm: Das Ehepaar Nicole Nau und Luis Ferreyra, sie Deutsche, er Argentinier, bereitet seine Tournee vor, auf der es zusammen mit einem halben Dutzend Mitstreitern in den nächsten Monaten bis ins Frühjahr hinein in Deutschland und anderen europäischen Ländern den Tango von einer ungewöhnlichen Seite zeigen will.

„Das schwarze Buenos Aires gibt es nicht mehr“

„Der Tango ist nur ein kleiner Teil der gesamten argentinischen Folklore“, sagt Luis Ferreyra in einer Probenpause. Das Programm, das er zusammen mit seiner Truppe einstudiert, soll die Verwandtschaft des Tangos zu Volkstänzen und der Volksmusik, zur Chacarera, dem Criollo-Walzer, der Zamba, dem Zapateo oder der Vidala spiegeln.

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Auch die „schwarze Musik“ sei für den Tango eine unerschöpfliche Quelle gewesen, meint Ferreyra. „Das schwarze Buenos Aires gibt es nicht mehr, aber gerade hier in der Boca hatten sich viele Farbige angesiedelt, die mit den Schiffen im Hafen ankamen und ihre Musik mitbrachten.“ Der vieldeutige Begriff „Milonga“, der eine bestimmte Tangoart, ein Tangoereignis und den Ort bezeichnen kann, an dem getanzt wird, stammt nachweislich aus der angolanischen Bantusprache Kimbundu.

Ein Entkommen ist nicht möglich

Im Halbdunkel des Theatersaals wirken die aufreizenden Schritte und Gesten der Tangopaare hochdramatisch, auch wenn nur harmlose Geschehnisse wie eine Hochzeit in einem Hinterhof vertanzt werden. Das Haus hat eine bizarre Geschichte hinter sich. In den dreißiger Jahren des 19.Jahrhunderts befand sich dort das Theater „Dante Alighieri“, die erste Bühne in Buenos Aires mit Gasbeleuchtung. Es bot Platz für 400 Besucher. An der Wende zum 20. Jahrhundert wurde das Gebäude abgerissen, und an seiner Stelle entstand das „Kinotheater Brown“, in dem es Stummfilme zu sehen gab, Bänkelsänger auftraten und politische Veranstaltungen stattfanden.

Es war ein Versammlungsraum der italienischen Einwanderungsgruppen, die in der Boca die Mehrheit stellten. Von den zwanziger Jahren an dienten die Räume als Werft, Fabrik, Werkstatt und Warenlager – bis sie in der großen Krise 2002 von mutigen Theaterleuten wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt wurden.

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