Argentinien: Wechselgeld vom Bäumchen

Seit 2011 dürfen argentinische Staatsbürger nur beschränkt Geld wechseln. Das führte zu einem blühenden Schwarzmarkt für Devisen

"Cambio, Cambio, Cambio!" Dieser Ruf dominiert die Calle Florida, eine Einkaufsstraße im Zentrum von Buenos Aires. "Dólar, Euro, Real" stellt klar, dass nicht die im Wahlkampf plakatierte politische Veränderung gemeint ist.

Arbolitos, Bäumchen, werden die Menschen genannt, die in der Fußgängerzone Geldwechsel anbieten. Sie verstummen nur, wenn die Polizei in der Nähe ist. Mit auffälligen Windjacken oder gar Warnwesten ist diese auf Patrouille.

Die Arbolitos sind der sichtbare Teil des "blauen" Marktes, wie er in Argentinien genannt wird. Ein informelles System des Geldwechsels neben dem offiziellen System. Um 10,5 Pesos kaufen Banken Euros ein. In einem Blumenstand auf der Calle Florida sind mit ein wenig Verhandeln 16 Pesos für einen Euro zu bekommen.

Systematischer geht es in einer "Casa de Cambio" zu. Die meisten Bewohner Buenos Aires' kennen eine solche in ihrem Bezirk. Banken neben den Banken sind diese inoffiziellen Wechselstuben. Ein Portier beobachtet die Tür und lässt Kunden in einen Vorraum. Von dort geht es durch eine schwere Stahltüre in den Schalterraum. In diesem stehen Bürosessel neben improvisierten Schreibtischen mit Geldzählmaschinen und Taschenrechnern, hinter denen Angestellte sitzen. Das Geld selbst wird von einem Kassier verwaltet, der wiederum hinter einer dicken Glasscheibe sitzt. Alles ist auf Sicherheit getrimmt. 17,2 Pesos werden hier für den Euro geboten: 63 Prozent mehr als auf der Bank. Neben dem üblichen Smalltalk sind Fragen nicht gern gesehen.

Der "blaue" Markt entstand durch Beschränkungen für Devisenhandel, die Argentinien 2011 einführte. Argentiniern ist es ohne Bescheinigung des Finanzamtes nicht erlaubt, Devisen zu erwerben. Was zu einer Einschränkung der Kapitalflucht in andere Währungen führen sollte, machte diese erst recht beliebt.

Die Liebe der Argentinier zu Devisen und speziell zum US-Dollar ist bedingt durch die Angst vor Hyperinflation. Argentinien litt über den größten Teil des 20. Jahrhunderts an hohen Inflationsraten. Dadurch wurde der US-Dollar die Währung, in der gespart wurde. Als in der Schuldenkrise Argentiniens zwischen 1998 und 2001 dann die Wechselkursbindung an den Dollar gelöst wurde, schoss der Wechselkurs binnen weniger Tage von 1:1 auf 4:1. Wer in Peso gespart hatte, verlor so drei Viertel des Vermögens.

Die Angst vor Hyperinflation wird durch eine fragwürdige Informationspolitik der Regierung verstärkt. Das Statistikbüro der Regierung hält seit 2007 die Inflation durch Rechentricks und andere Maßnahmen niedrig. NGOs und Institutionen, die eigene Inflationsstatistiken publizierten, wurden von der Regierung geklagt. Dies führte so weit, dass das Wirtschaftsmagazin "The Economist" im Februar 2012 aufhörte, argentinische Statistiken zu veröffentlichen.

"Die Regierung spekuliert gegen die eigene Währung, wenn sie unwahre Inflationsstatistiken publiziert", meint Alejandro Baranek, der bis November 2007 beim argentinischen Statistikbüro INDEC beschäftigt war. Er hat den Beginn der "Intervention" miterlebt, als die Regierung unter Nestor Kirchner anfing, den Inflationsindex zu beeinflussen.

"Im Februar 2007 wurde mein Vorgesetzter gekündigt und uns ein Polizist ins Büro gesetzt", erzählt er. Als Informatiker arbeitete er an dem Programm, das den Inflationsindex berechnet. Die Regierung monierte drei Preise im Index: den für Salat, den für Reiseausgaben und den für Gesundheitsversicherungen. Sie zwang die Informatiker, diese Preise zu ändern. So korrigierte sie die Inflationsrate von 3,1 auf 1,05 Prozent für diesen Monat.

Damit war es jedoch nicht vorbei. Jeden Monat mussten mehr Preise angepasst werden. Nur so konnte die Illusion von niedriger Inflation aufrechterhalten werden. Im Juli 2007 begannen sich Baranek und seine Kollegen zu weigern, die Anpassungen durchzuführen. Sie seien von Schlägertrupps der regierungsnahen Gewerkschaft aus dem Büro vertrieben worden. Am 1. November 2007, dem Tag nach der Wahl Cristina Kirchners, wurde Baranek schließlich gekündigt und ins Wirtschaftsministerium versetzt.

Den offiziellen Statistiken misstraut er seither. Einzig die Provinz San Louis veröffentlicht einen Inflationsindex, dem er noch immer traut. Er beschäftigt sich nun damit, zu dokumentieren, wie weit die öffentlichen Inflationsstatistiken von der wahren Inflation abweichen.

Das Misstrauen gegenüber den Informationen führte zu einer tiefen Spaltung des Landes. "Heute haben wir zwei Lager", erklärt Baranek, "die einen sagen: Statistik ist unwichtig, wir glauben der Regierung, dass sie das Land weiterbringt. Die anderen glauben der Regierung gar nichts mehr." Er selbst stehe in der Mitte: "Das Problem ist: Wir können nicht wissen, ob Regierungsmaßnahmen einen Effekt haben, weil wir es nicht mehr messen können."

Die Flucht der Argentinier in den Dollar als stabile Sparanlage machte das Land zu einem der Länder, die am meisten Dollar-Reserven besitzen. Jedoch sind diese in privater Hand. Wie viele Dollar im Land sind, ist schwer zu schätzen: Das meiste ist Bargeld, das am Schwarzmarkt gehandelt wird. Mehr als 50 Milliarden Dollar sollen es laut Schätzungen der US-Treasury 2013 gewesen sein.

Seit Jänner 2014 ist es Argentiniern erlaubt, 20 Prozent ihres monatlichen Einkommens oder maximal zweitausend US-Dollar zu Sparzwecken zu wechseln. Auf so gewechseltes Geld sind 20 Prozent an Steuern zu zahlen, sofern das Geld innerhalb eines Jahres verwendet wird.

Die vom Finanzamt publizierten Zahlen über den Kauf von US-Dollar zeigen einen Anstieg von etwa 440 Millionen US-Dollar im Mai 2015 auf 680 Millionen im Juli 2015. Ein Teil des so abgehobenen Geldes dürfte jedoch nicht wie vorgesehen gespart werden. Ein Verkauf am Schwarzmarkt bringt sofort Gewinne ein. Selbst mit der Steuer von 20 Prozent ist das profitabel: Die Differenz zwischen offiziellem und "blauem" Wechselkurs macht oft mehr als 70 Prozent aus.

Der Grund für den Anstieg des gewechselten Volumens: Die Argentinier erwarten eine weitere Abwertung ihrer Währung. Zuletzt wurde der Peso im Jänner 2014 entwertet. Eine neuerliche Abwertung wäre nicht überraschend. Auf dem Anleihenmarkt ist ein Dollar im Moment über 13 Peso wert.

Wirtschaftsjournalist Francisco Jueguen bezeichnet die Beschränkungen im Devisenkauf, die 2011 in Kraft getreten sind, als "Falle". Durch ihre Wirtschaftspolitik habe sich die Regierung in eine Situation gebracht, aus der es keinen klaren Ausweg gebe, meint Jueguen. Am 25. Oktober wählen die Argentinier nach acht Jahren Cristina Kirchner eine neue Regierung. Wer ihre Nachfolge antritt, ist noch unklar, gewiss ist: Die wirtschaftlichen Probleme werden der Regierung zu schaffen machen. (Michael Bauer, 7.9.2015)

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