Argentinien vor Fußball- und Staatspleite

Buenos Aires. 

Vor rund 100 Jahren gehörte Argentinien zu den reichsten Ländern der Erde. Linkspopulistische Experimente und Protektionismus, Militärputsche und Korruption haben die einst blühende Volkswirtschaft jedoch ruiniert. Der Gipfelpunkt: Nach jahrzehntelanger Misswirtschaft schlitterte das Land der Gauchos und der Pampa 2001 in eine Rezession, die die Wirtschaftsleistung um ein Viertel einbrechen ließ und zum Zahlungsausfall gegenüber internationalen Gläubigern führte.

Seither ist das Land vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten. Bei Umschuldungsaktionen 2005 und 2010 wurde den meisten Gläubigern ein Forderungsverzicht abgepresst, doch ein von Großanlegern und Hedgefonds erstrittenes US-Gerichtsurteil lässt nun eine abermalige Staatspleite näher rücken. Das Urteil des New Yorker Richters Thomas Griesa stellte klar, dass die Altgläubiger nicht benachteiligt werden dürfen gegenüber den Besitzern umgetauschter Anleihen, die damit auch das letzte Drittel ihrer Einlagen zu verlieren drohen. Denn Argentiniens Wirtschaftsminister Axel Kicillof beharrte in einem Gespräch mit dem gerichtlich eingesetzten Schlichter darauf, dass der Richterspruch für Argentinien nicht ausführbar sei. Die Frist läuft am Monatsende ab.

Im Inland ist für die Regierung ebenfalls nichts mehr zu holen: Nachdem mit der Verstaatlichung der Spareinlagen (1999) und der Pensionsfonds (2008) die heimischen Anleger alles verloren hatten, versuchte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner (Nachfolgerin ihres Ehemannes Néstor) durch den Zugriff auf neuentdeckte Schiefergasvorkommen an frische Devisen zu kommen. Doch die Rohstoffe müssen erst erschlossen werden – und nach der Enteignung der spanischen Repsol zögern ausländische Geldgeber. Den heimischen Versorgern fehlt nach staatlichen Preisstopps das Geld für Investitionen, sie können kaum ihre Leitungen in Ordnung halten. Ständige Stromausfälle selbst in der Hauptstadt Buenos Aires sind die Folge.

 

Von Brasilien überholt

 

Die Devisenreserven schmelzen in Rekordgeschwindigkeit dahin – obwohl die Regierung alle Importe und den Umtausch des Peso in US-Dollar streng kontrolliert und damit das Wirtschaftsleben in vielen Bereichen abwürgt, sanken sie von 52 Milliarden (2011) auf zuletzt nur noch 28 Milliarden US-Dollar. Die Inflationsdaten wurden jahrelang geschönt, um der Bevölkerung Wachstum wenigstens vorzugaukeln – seit der Freigabe von Monatsdaten ist klar, dass die Teuerung im laufenden Jahr bis zu 50 Prozent betragen dürfte, das Fünffache der zuvor offiziell für 2013 ausgewiesenen Rate.

Das Waschen von Drogen- und Schmiergeldern hat zwar zu einem Immobilienboom in manchen Vierteln von Buenos Aires geführt, lange Zeit hohe Preise für Mais und Soja ließen die Landwirtschaft boomen. Doch auch im Agrarsektor horten mittlerweile die Farmer lieber ihr Getreide, statt es für Pesos zu verkaufen, die rasant an Wert verlieren. Seit Anfang 2012 hat der Peso zum US-Dollar rund 40 Prozent eingebüßt, am Schwarzmarkt werden für Dollars hohe Aufschläge zum offiziellen Kurs geboten.

Auch die Beef-Exporte des einst weltweit führenden Rindfleisch-Exporteurs sind nach einem Ausfuhrstopp eingebrochen; der sollte die Preise im Inland stabilisieren, doch weil sich die Erzeugung nicht mehr lohnte, stellten die Bauern von Rinderzucht auf Ackerbau um. Mittlerweile sind auch in Argentinien Steaks teuer, die Ausfuhr ist seit 2005 von 771 000 Tonnen auf nur noch 190 000 Tonnen eingebrochen. Im Welt-Ranking ist das Land von Platz drei auf Platz elf abgestürzt, weit hinter Brasilien und sogar hinter dem kleinen Nachbarn Uruguay.

Argentinien zählt in der gängigen Betrachtung zu den Schwellenländern. Von denen es sich aber dadurch unterscheidet, dass es sich um das weltweit einzige Land handelt, das sich nicht im Auf-, sondern im Abstieg befindet und von einer reichen Volkswirtschaft zu einem Armenhaus zurückentwickelt hat. Da war symbolkräftig, dass das Land im BRIC-Konzept von Goldman Sachs von Brasilien verdrängt wurde. Das Pro-Kopf-Einkommen wird im laufenden Jahr laut IWF-Schätzung 9640 US-Dollar erreichen (zum Vergleich Brasilien: 11 080 US-Dollar), das Wachstum auf 0,5 Prozent schrumpfen.

 

Kaum Investoren

 

Gerade hat die Welthandelsorganisation das Land wegen seiner protektionistischen Politik verurteilt und berät über Sanktionen. In internationalen Rankings, die Wettbewerbsfähigkeit oder Korruption messen, liegt Argentinien abgeschlagen weit hinten. Die Industrie liegt darnieder, wegen Materialmangels stehen selbst neu errichtete Vorzeigeprojekte häufig still. Wer importieren will, muss für dieselbe Summe Waren ausführen: BMW ist so zu einem der großen Reisexporteure geworden, Porsche macht in Olivenöl, Ferrari führt Wein aus. Ende des Monats droht nun der erneute Staatsbankrott. Daran ändern auch mehrseitige Zeitungsanzeigen nichts, in denen die Regierung, in Wortwahl und Layout schwer erträglich, der US-Justiz die Schuld in die Schuhe zu schieben versucht. Doch mit internationaler Solidarität gegen die angeblichen „Geierfonds“ kann die unberechenbare Regierung kaum rechnen.

Die Auslands-Investitionen in Argentinien sind 2013 auf nur noch 12,6 Milliarden US-Dollar abgesackt. Selbst in das viel kleinere Chile flossen mehr als 30 Milliarden. Doch solange keine ausländischen Geldgeber in Argentinien investieren, wird die Wirtschaft des nach Fläche achtgrößten Staates der Erde eine abgeschottete, krisenanfällige Insel in einem Meer der Globalisierung bleiben. Das einst führende Land Südamerikas kommt heute nicht einmal mehr auf ein Sechstel der Wirtschaftsleistung Brasiliens und verliert global weiter an Bedeutung.

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