Argentinien: Stürzt Landwirtschaft in den Abgrund?

Argentinien stand einst für Rindfleisch-Exporte. Heutzutage riskiert das südamerikanische Land allerdings, die dominierende Rolle auf den Export-Märkten zu verlieren. 2012 lagen die Ausfuhren rund 75 Prozent unter denjenigen von 2005, dem Jahr mit den höchsten Exporten seit den späten 1970er-Jahren. Wurden im Jahr 2005 noch 608'000 Tonnen ins Ausland geliefert, waren es 2012 lediglich 153'136 Tonnen.

Interventionistische Politik, Wechselkurs und Exportsteuer...

Damit fiel Argentinien auf der Liste der grössten Rindfleisch-Exporteure vom fünften auf den elften Platz zurück. Argentinien war das einzige Land in Südamerika mit sinkenden Rindfleisch-Exporten. Zum Vergleich: Uruguay, Argentiniens Nachbarland, konnte die Ausfuhren um 23 Prozent steigern. Argentinien, das mit 29'375 Tonnen das grösste Lieferrecht in die EU besitzt, konnte dieses im letzten Jahr nur zu 64 Prozent ausschöpfen. Der Rinderbestand belief sich Ende 2012 auf 49 Millionen Tiere; sechs Jahre zuvor waren es noch 60 Millionen Rinder.

Wie in keiner anderen Branche zeigen sich im Rindfleisch-Sektor die negativen Auswirkungen der interventionistischen Politik von Präsidentin Cristina Kirchner de Fernandez. So haben Wechselkurs und Export-Steuern die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Rindfleischbranche negativ beeinträchtigt. Experten halten den Peso für überbewertet. Als Folge davon ist Fleisch aus Argentinien im Ausland teuer, was die Exportchancen mindert.

Dazu kommt die Exportsteuer: Für gekochtes und verarbeitetes Fleisch müssen die Verarbeiter Abgaben in der Höhe von fünf Prozent bezahlen, für alle anderen Produkte sind es gar 15 Prozent. Die Rindfleischbranche pocht auf eine Steuerreduzierung – bislang vergeblich.

... und Inflation

Zu schaffen macht dem Rindfleisch-Sektor auch die galoppierende Inflation. Von 2007 bis Ende 2012 ist der Konsumpreisindex nach offiziellen Angaben um fast 70 Prozent in die Höhe geschnellt. Unabhängige Experten sehen die Erhöhung hingegen eher bei 200 Prozent. Erschwerend kommt hinzu, dass die argentinische Bevölkerung weniger Appetit auf Rindfleisch hat. 2010 wurde Argentinien von Uruguay als Land mit dem höchsten Rindfleischkonsum abgelöst (58,2 kg pro Kopf und Jahr). 2011 lag der jährlich Pro-Kopf-Konsum in Argentinien bei 55,5 kg – dem tiefsten Wert seit über 90 Jahren.

Auch Milchbauern unter Druck

Nachdem die argentinischen Bauern die Milchproduktion seit 2007 um 24 Prozent gesteigert hatten, ist das Wachstum mittlerweile zum Erliegen gekommen. 2012 wurden lediglich 11'600 Millionen Liter produziert. Dennoch werden Schätzungen zufolge die Verarbeiter ihre Kapazitäten um bis zu 10 Prozent ausbauen. Neuen Schwung erhoffen sich die Molkereien von einer Fokussierung auf wertschöpfungsstarke Produkte wie Milchpulver und Käse, von denen man sich gute Exportchancen erhofft.

Die Produzentenpreise sind unter Druck. Deshalb werden Milchbauern ihre Produktion kurz- und mittelfristig kaum ausdehnen. Derzeit erhalten die Bauern für einen Liter Milch lediglich 1,50 Pesos (26 Rappen), weil die Preise nach oben begrenzt wurden. In den Läden kostet ein Liter Milch hingegen 5 Pesos (85 Rappen). Beim Käse ist die Differenz noch grösser. Wie in allen anderen Sektoren machen den Milchbauern die steigenden Produktionskosten und die Inflation zu schaffen.

So wenig Weizen wie seit 110 Jahren nicht mehr

Die Anbaufläche von Getreide schrumpft. In der Periode 2012/13 wurde so wenig Weizen angebaut wie seit 110 Jahren nicht mehr. Beim Mais fiel die Anbaufläche um 12 Prozent kleiner aus. Die Getreideproduzenten leiden unter der Politik der Regierung, die die Preise für Grundnahrungsmittel wie Brot oder Teigwaren tief hält, damit sie auch für Arme erschwinglich sind.

Für Weizen und Mais gilt ein striktes Exportregime: So setzt die Regierung jedes Jahr die Menge fest, die ins Ausland verkauft werden darf. Viele Farmer bauen deshalb Gerste an, weil diese Kultur nicht den Exportrestriktionen unterliegt. Die Gerstenproduktion hat seit 2005/06 von 800'000 Tonnen auf schätzungsweise 5,2 Millionen Tonnen in der Saison 2012/13 zugenommen.

Agrotreibstoff-Produktion in Bedrängnis

Die Agrotreibstoff-Branche blieb bis vor kurzem von Eingriffen der Regierung verschont. Das hat sich nun geändert. So wurden letzten Herbst die Exportsteuern von 14 auf 24 Prozent angehoben. Die Regierung will mit den Mehreinnahmen Sozialausgaben finanzieren. Nach Protesten der Industrie wurde die Steuer jedoch auf 19 Prozent reduziert. Zudem hat der Staat im Inland den Preis pro Tonne Agrodiesel von 5'200 auf 4'400 Pesos herabgesetzt.

Nun wird befürchtet, dass kleinere Produzenten aufgrund der höheren Exportsteuern und den tieferen Inlandpreisen aus dem Geschäft mit Agrodiesel aussteigen werden.

Schrumpft Lebensmittelproduktion weiter?

Die Amtszeit von Argentiniens Präsidentin, Cristina Fernández de Kirchner, wird nicht vor Dezember 2015 enden. Die Opposition im Kongress ist gespalten und ohne grossen Einfluss. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass der Staat auch weiterhin in die Agrarmärkte eingreifen wird. Die Agrarproduktion wird weiter schrumpfen, wenn die Regierung an den Ausfuhr-Restriktionen festhält und es verunmöglicht, dass Inland- und Exportmarkt um Rohstoffe konkurrieren.

Erschwert wird die Situation durch die Hyperinflation, die durch das Missmanagement der Regierung verursacht wurde. Von den sinkenden Exporten Argentiniens werden Staaten wie die Schweiz profitieren, weil dadurch die Preise auf dem Weltmarkt steigen werden.

Umrechnungskurs: 1 Argentischer Peso = 0,17 CHF (23-7-13)

Argentinien: Landwirtschaftlicher Riese

Argentiniens Bauern sind hochproduktiv. Rund 400 Millionen Menschen können sie ernähren. Argentinien zählt jedoch lediglich 41 Millionen Einwohner. Deshalb wird ein Grossteil exportiert. Im letzten Jahr waren es Agrarrohstoffe im Wert von 45 Milliarden US-Dollar. Damit ist Argentinien hinter Brasilien der weltweit zweitgrösste Agrarnettoexporteur. Insgesamt entfällt rund die Hälfte der Exporte auf den Agrarsektor. Wichtigste Kultur ist die Sojabohne, die auf über der Hälfte der Ackerbaufläche angebaut wird.

Argentinien ist denn auch Weltmarktführer bei Sojaöl und Sojamehl. Weitere wichtige Exportprodukte sind Getreide, Milchprodukte, Obst, Rindfleisch und Wein. Argentiniens Regierung steuert die Ausfuhren mittels Kontingenten. Zudem werden Exportsteuern von bis zu 35 Prozent erhoben. Die Leidtragenden sind die Bauern, die für ihre Produkte deutlich weniger lösen als auf dem Weltmarkt gezahlt wird. Während ein US-amerikanischer Bauer für eine Tonne Soja 500 US-Dollar erhielt, kassiert sein argentinischer Berufskollege nicht einmal die Hälfte. mw

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