Argentinien – Rechte auf dem Vormarsch

Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner? „Uns steht die wunderbarste Etappe unserer Geschichte bevor!“, rief Mauricio Macri, der künftige Präsident Argentiniens, in der Euphorie des letzten Wahlkampftages aus. Vielleicht hätte er eher Winston Churchill bemühen und wenn nicht Blut, so doch wenigsten Schweiß und Tränen beschwören sollen. Macri hat versprochen, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Gut so. Aber das Haushaltsdefizit beläuft sich auf sechs Prozent des Bruttosozialprodukts. Dass vielen Argentiniern da nicht unbedingt die wunderbarste Etappe ihrer Geschichte bevorsteht, liegt auf der Hand.

Unter all den positiven Botschaften, mit denen der Konservative Macri der Miesmache des Regierungslagers entgegentrat, war sehr wenig Programmatisches. Immerhin, Macri hat seine Chance, und Argentinien muss sie nutzen. Nach den zwölf Kirchner-Jahren – die ersten vier unter Néstor, die letzten acht unter Cristina, seiner Frau und Witwe – steht das achtgrößte Land der Erde nicht besonders gut da: 27 Prozent Inflation, ein Null-Komma-Wachstum und ein Schwarzmarkt-Dollarkurs, der 70 Prozent höher ist als der offizielle. Auch wenn man Sozialprogramme für Arme nicht für sozialistisches Teufelszeug hält, wie das Rechte in Südamerika gerne tut – ist es wirklich gesund, dass nach acht Jahren Cristina nicht 20, sondern 40 Prozent der Bevölkerung Lohn, Pension oder Sozialhilfe vom Staat bezieht? Oder muss man wirklich aus Nationalstolz eine defizitäre Fluglinie verstaatlichen?

Wie auch immer sich Macri machen wird, sein Sieg scheint auf das Ende einer Epoche hinzudeuten – nicht nur in Argentinien, sondern in ganz Südamerika. Seit Beginn des Jahrtausends war es eine neue Linke, die in Südamerika die Oberhand gewann, und Argentinien ist nun das erste Land, in dem dieser Links-Zyklus an der Wahlurne beendet wird. Da könnten bald ein paar andere Länder folgen.

Übernächsten Sonntag wählen die Venezolaner ein neues Parlament, und wenn alles mit rechten Dingen zugeht, werden die Gefolgsleute des seligen Comandante Hugo Chávez wohl haushoch verlieren. Wären in Brasilien morgen Wahlen, könnte Präsidentin Dilma Rousseff, eine Art Sozialdemokratin, ihr Büro ausräumen. Nur in Ecuador und Bolivien sind die linken Präsidenten Correa und Morales halbwegs unangefochten, vor allem weil sie keine zugkräftigen Gegenspieler haben.

So unterschiedlich Südamerika ist, so ähnlich sind die Grundprobleme. Vor allem die wirtschaftlichen: Die Rohstoffe, mit denen Südamerika dank der China-Nachfrage die Staatskassen füllen konnte, werden deutlich billiger gehandelt. Während früher expandierende Volkswirtschaften und starke, charismatische Politiker den Optimismus Südamerikas begründeten, endlich der Armutsfalle zu entkommen und zu den Schwellenländern aufzuschließen, ist heute eher schwaches Führungspersonal damit beschäftigt – oder damit überfordert –, die Länder aus der Krise zu führen. Wobei man zugeben muss, dass es, wenn die Wirtschaft flutscht, leichter ist, ein Land ordentlich zu führen.

Cristina Kirchner hat es ja am Anfang auch besser gemacht als am Ende, ganz zu schweigen von ihrem Mann, in dessen Amtszeit sich Argentinien geradezu chinesischer Wachstumsraten erfreuen konnte. Gegen Brasiliens großen Lula erscheint die Nachfolgerin als ein Schatten. So pathetisch, selbstherrlich und autoritär der Venezolaner Chávez seine Fehler beging – angesichts seines kläglichen Nachfolgers befallen selbst manchen Anti-Chavisten nostalgische Anflüge.

Es ist nicht nur Ungeschicklichkeit, die die Führung der Linken in Südamerika diskreditiert hat. Kristallisationspunkt der brasilianischen Krise sind die Schmiergeld-Affären, in die sich höchste Politiker und die Crème der Wirtschaft verheddert haben. Der Kirchnerismus buchstabiert sich mit K wie Korruption. In Venezuela steht ideologische Verbohrtheit am Anfang der systematischen Zerstörung einer Volkswirtschaft, die durch den niedrigen Ölpreis sowieso in die Knie gezwungen ist.

In Ecuador oder Bolivien ist die Diskreditierung der Linkspolitik zwar nicht so schlimm. Aber der schillernde Messianismus, mit dem die Linken damals antraten, ist dort wie überall großer Nüchternheit gewichen. Der von der Linken geführte Staat, der die Steuereinnahmen zur Wirtschaftslenkung einsetzt und dabei die soziale Ungleichheit behebt oder wenigstens mildert, die in keiner anderen Weltregion größer ist als in Lateinamerika – von diesem historischen Projekt der südamerikanischen Linken ist kaum etwas geblieben. Den Armen mag es oft besser gehen, oder gegangen sein – die Armut ist in Lateinamerika wieder auf dem Vormarsch. Das Erlösungsversprechen ist aber nicht erfüllt.

Das einzige Projekt in Südamerika, das man derzeit als historisch bezeichnen darf, hat sich der kolumbianische Präsident Santos aufs Panier geschrieben. Nach über einem halben Jahrhundert Guerrilla-Krieg Frieden zu schließen in Kolumbien, das 2014 um 4,5 Prozent gewachsen ist.










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