Argentinien – Plünderer nutzen Polizistenstreik aus

Wenn die Polizei schläft, freuen sich die Ganoven. Was passiert, wenn die Polizei streikt, erfahren die Argentinier in diesen Tagen. 30 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur fragen sich die Politiker, was sie falsch gemacht haben. Bei landesweiten Ausschreitungen sterben fünf Menschen.

In Argentinien sind mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen, als Plünderer einen Polizistenstreik für ihre Zwecke nutzten. Ein Teil der 57 000 Polizisten nahm am Dienstag den Dienst wieder auf, nachdem ihre massiven Lohnforderungen erfüllt worden sind. Aber in zehn der 23 Provinzen blieben die Beamten im Ausstand.

25 Prozent Inflation

In der Nacht zu Montag wurden Hunderte Supermärkte und Geschäfte aufgebrochen und ausgeraubt. In der Andenprovinz Jujuy wurde ein Jugendlicher erstochen, in Resistencia kam ein weiterer Mann ums Leben. In Corcordia starb ein Plünderer an einem Stromschlag, als er ein Haushaltsgerät rauben wollte. Bereits vergangene Woche waren zwei Männer umgekommen, darunter ein chinesischer Immigrant. Er kam ums Leben, als Plünderer seinen kleinen Supermarkt in Brand steckten.

Politiker sprachen zwar von Erpressung, kamen den Polizisten dann doch sehr schnell entgegen. Signalwirkung hatte das Einlenken von Daniel Scioli, denn er ist Gouverneur der Provinz Buenos Aires, in der mehr als ein Drittel aller Argentinier leben. Scioli sagte den Beamten zu, das Anfangsgehalt von 5 200 Pesos (606 Euro) auf 8 570 Pesos (1 000 Euro) anzuheben. Polizisten erhalten zudem verschiedene Zulagen, die ihr Einkommen aufstocken. Das sei „ein Entschluss, kein Angebot“, sagte Scioli. Auch in anderen Provinzen sagten die Behörden deutliche Erhöhungen zu. Wie viele Polizisten streiken, ist unklar. Die Bundesregierung in Buenos Aires versetzte Beamte aus den Gegenden, in denen es keinen Ausstand gibt, in bestreikte Regionen.

Die kräftigen Gehaltserhöhungen relativieren sich, wenn man Argentiniens galoppierende Inflation in Betracht zieht. Amtlich wird sie auf rund zehn Prozent beziffert, private Wirtschaftsinstitute halten 25 Prozent für eine zurückhaltende Schätzung. Die Regierung würde die Lohnerhöhungen gerne auf 20 Prozent begrenzt sehen. Aber die Forderungen für die nächste Lohnrunde liegen höher. In der Brauereiwirtschaft wurde gerade eine Erhöhung von 26,5 Prozent vereinbart.

Nachdenken über die Motive

Jenseits der politischen und ökonomischen Probleme wirft die Plünderungswelle die moralische Frage auf, wie es um eine Gesellschaft bestellt ist, in der es zu Massenausbrüchen schwerer Gewalt kommt, wenn der staatliche Repressionsapparat kurzzeitig lahmgelegt ist.

Die Nachdenklichkeit wird dadurch gesteigert, dass Argentinien gerade das Ende der Diktatur vor 30 Jahren feiert. „Wenn ein Nachbar das Geschäft, in dem er jeden Morgen Brot und Milch kauft, nachts ausplündert, dann haben nicht nur die streikenden Uniformierten Schuld an den Ausschreitungen“, sagte die Senatorin Norma Morandi. „Dann müssen wir als Gesellschaft und als Politiker irgendetwas falsch gemacht haben.“

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