Argentinien plant brisanten Schuldentausch gegen die Zahlungsunfähigkeit

    Von KEN PARKS und NICOLE HONG

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Argentinier verbrennen aus Wut über ein US-Gerichtsurteil amerikanische Flaggen in Buenos Aires. Die argentinische Regierung will sich mit einem spektakulären Schuldentausch davor drücken, US-Gläubiger zu bezahlen.

Nach der folgenschweren Niederlage vor dem Obersten US-Gerichtshof will sich Argentinien jetzt mit einem bislang einzigartigen Schuldenmanöver der drohenden Staatspleite entziehen. Wie Wirtschaftsminister Axel Kicillof am Dienstag in einer im Fernsehen übertragenen Rede erklärte, will Argentinien sämtliche umlaufenden Schuldscheine, die unter amerikanisches Recht fallen, gegen Anleihen tauschen, für die argentinische Gesetze gelten.

Mit dem Winkelzug würde Argentinien darum herumkommen, ein amerikanisches Gerichtsurteil in die Tat umzusetzen. Demnach müsste sich das Land bis Ende Juni mit jenen Gläubigern einigen, die nach der Staatspleite im Jahr 2001 einen Schuldenschnitt nicht hinnehmen wollten. Solange es dies nicht tut, darf Argentinien sämtliche anderen Anleihebesitzer ebenfalls nicht auszahlen.

Experten rätseln, wie Argentinien den Plan umsetzen will

Seit Jahren kämpft Argentinien mit allen Rechtsmitteln dagegen an, diese rebellischen Gläubiger – darunter Hedgefonds wie NML Capital und Aurelius Capital – auszuzahlen. Der Oberste Gerichtshof der USA aber schmetterte am Montag einen Revisionsantrag in letzter Instanz ab. Damit steht die Regierung nun vor dem Dilemma, mit den störrischen Gläubigern über eine Auszahlung verhandeln zu müssen oder gezwungenermaßen eine fällige Zinszahlung an die übrigen Gläubiger zu verpassen. Das Land wäre in dem Fall de facto zahlungsunfähig.

Retten soll Argentinien nun ein Anleihe-Swap. Einen solchen Schritt hat es auf den weltweiten Staatsschulden-Märkten noch nicht gegeben. Obwohl Experten bereits damit gerechnet hatten, dass Argentinien diesen Trick probieren wird, rätseln viele Anwälte und Investoren, wie das Land den Schuldentausch in die Tat umsetzen will. Unklar ist auch, was das Manöver konkret für Anleihegläubiger bedeutet.

Anleihebesitzer müssten auf jeden Fall ihr Rechte abtreten, die ihnen unter der geltenden US-Gesetzgebung zustehen. Dazu zählt etwa die Möglichkeit, vor US-Gerichten zu klagen. Außerdem haben sie zurzeit noch die Sicherheit, Zahlungen über US-Banken abwickeln zu können. Auch darauf müssten sie künftig verzichten. Andererseits würden Gläubiger aber auch weiterhin hübsche Einnahmen aus ihren argentinischen Staatsanleihen erhalten, die zu den rentabelsten Schuldenpapieren der Welt zählen.

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Argentiniens Wirtschaftsminister Axel Kicillof deutete am Dienstag auch an, dass sein Land zu Verhandlungen mit rebellischen US-Gläubigern bereit sei.

Wirtschaftsminister Kicillof ließ in seiner Ansprache am Dienstag auch durchblicken, dass die Regierung zu Verhandlungen mit den Gläubigern bereit sei, denen sie mindestens 1,5 Milliarden US-Dollar schuldet. Die Regierung werde jetzt ihre Anwälte bitten, sich mit dem Richter am Bezirksgericht zu treffen, der Argentinien zur Auszahlung der störrischen Gläubiger verurteilt hat. Noch am Montag warf Präsidentin Cristina Kirchner den Hedgefonds „Erpressung" vor.

Die Tatsache, dass Argentiens Anwälte das Gespräch mit dem zuständigen Richter suchen, „um das Problem zu lösen", sei „das Wichtigste und Positivste" in der Rede des Ministers gewesen, sagt Fedeico Tomasevich, Verwaltungsratschef der argentinischen Investmentbank Puente. NML lehnte einen Kommentar ab. Aurelius meldete sich auf Anfrage nicht zurück.

Kosten für Anleiheversicherungen steigen heftig

Trotz des augenscheinlich positiven Signals regen sich einige Anleger über Argentiniens ungewöhnliche Strategie auf. Sie glauben, dass die Regierung sich am Ende trotzdem für zahlungsunfähig erklären könnte.

Investoren und Analysten sagen, dass noch niemals ein Land versucht habe, den Gesetzesrahmen von Staatsanleihen zu ändern. „Was die da versuchen, ist sehr heikel", sagt Jorge Mariscal, Anlagestratege bei UBS

Wealth Management. „Es wäre extrem ungewöhnlich, wenn Argentinien mit so etwas durchkommen würde." Mariscal hat seinen Kunden schon von argentinischen Staatsanleihen abgeraten.

Am Dienstag stabilisierten sich die Kurse argentinischer Staatsanleihen wieder, nachdem sie am Montag wegen des Supreme-Court-Urteils abgestürzt waren. Anleihen mit Laufzeit bis 2033 traf es am schärfsten. Lag ihr Kurs am Freitag laut Händlern noch bei rund 84 Cent, waren sie am späten Dienstag nur noch 74,24 Cent wert.

Gleichzeitig steigen die Kosten, um sich gegen Zahlungsausfälle bei argentinischen Schuldenpapieren zu versichern. Das spiegelt wider, wie groß die Angst der Anleger vor einer Pleite ist. Der argentinische Aktien-Index Merval, der am Montag um 10 Prozent eingebrochen war, stieg am Dienstag jedoch um 3,8 Prozent.

Von dem geplanten Tauschmanöver wären umlaufende Anleihen im Wert von 54,8 Milliarden Dollar betroffen.

Konflikt geht bis ins Jahr 2001 zurück

Der Konflikt zwischen Argentinien und seinen Gläubigern, der nun das oberste amerikanische Gericht beschäftigte, reicht bis ins Jahr 2001 zurück. Angesichts einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise stellte das Land damals die Zahlungen für Anleihen im Wert von rund 100 Milliarden Dollar ein. Später bot Argentinien Anlegern an, ihre Anleihen in einer Umschuldung in neue zu tauschen – allerdings mit heftigen Verlusten. Die neuen Papiere boten je Dollar ursprünglichen Werts nur noch einen Nominalwert von 33 Cent. Trotzdem nahmen letztlich rund 93 Prozent der Gläubiger das Angebot an. Die restlichen, allen voran die Hedgefonds, kämpfen seither um Rückzahlung – und Verzinsung – ihrer Papiere.

Am Dienstag stufte die Ratingagentur Standard Poor's Argentiniens Staatsschulden von CCC+ auf CCC- mit negativem Ausblick herunter – damit liegt das Rating nur noch drei Stufen über einem Zahlungsausfall.

Die Entscheidung des US-Gerichtshofs war von Investoren, Akademikern und Aktivisten genau beobachtet worden. Nicht nur könnte sich das Risiko für einen erneuten argentinischen Ausfall erhöhen. Obendrein drohen möglicherweise zahlreiche rechtliche Präzedenzfälle, die weltweite Auswirkungen haben könnten.

Warnung des Internationalen Währungsfonds

Am Dienstag warnte der Internationale Währungsfonds, dass eine Niederlage Argentiniens vor Gericht zukünftige Restrukturierungsmaßnahmen anderer Regierungen bei ihren Staatsverschuldungen erschweren könnte. „Wir sind besorgt über mögliche umfassende systemimmanente Implikationen", erklärte der IWF.

Eine Verlagerung der umstrukturierten Staatsanleihen raus aus der Zuständigkeit New Yorks und hinein in Argentiniens Rechtssystem würde bedeuten, dass eine große Mehrheit der Anleihegläubiger einer entsprechenden Klausel zustimmen müsste, die alle anderen Gläubiger dazu zwingen würde, den Plänen ebenfalls zuzustimmen.

US-Gerichte könnten jedoch in jedem Anleihegläubiger, der den Plänen der argentinischen Regierung zustimmt, einen potenziellen Komplizen sehen, der dem Land dabei hilft, der Gerichtsbarkeit in New York zu entfliehen. Dadurch könnten sich für diese Investoren rechtliche Folgen ergeben, sagen Analysten. Diese Risiken könnten weltweit agierende Banken mit US-Ablegern davon abhalten, Zahlungen Argentiniens an Anleihegläubiger weiterzureichen, da diese gezwungen wären, argentinische Banken zu nutzen, die jedoch weniger Schutz für Investoren bieten.

Letzte große Hürde für Argentinien

Die Auseinandersetzung mit Hedgefonds ist die letzte große Hürde, die Argentinien davon abhält, zum ersten Mal seit 2001 wieder Anleihen im Ausland zu emittieren. Präsidentin Kirchner hat auf eine lockere Geldpolitik zurückgreifen müssen, um Defizite auszugleichen. Das hat zu einer hohen Inflation im Land geführt. Außerdem musste sie sich bei den Devisenreserven der Notenbank bedienen. Diese werden zum Teil dafür genutzt, Anleihegläubiger auszuzahlen.

Ein Zahlungsausfall wäre für Kirchner ein herber Rückschlag. Sie hat in jüngster Vergangenheit die Beziehungen zu den Gläubigern verbessert. Das haben Analysten als Signal gesehen, dass die Regierung den Zugang zu internationalen Geld- und Kreditmärkten zurückerlangen möchte. Seit Oktober hat Argentinien etwa 500 Millionen Dollar gezahlt, um Streitigkeiten mit ausländischen Firmen beizulegen. Außerdem erklärte man sich bereit, dem Pariser Club – einem informellen Zusammenschluss staatlicher und öffentlicher Gläubiger – etwa 9,7 Milliarden Dollar zu zahlen. Auch der Ölkonzern Repsol wurde mit rund 5 Milliarden Dollar als Ausgleich für die Beschlagnahmung seiner argentinischen Tochtergesellschaft bedacht.

—Mitarbeit: Brent Kendall, Taos Turner und Ian Talley

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