Mit dem FC Barcelona begeistert er die Fußballwelt, im Argentinien-Trikot gelingt Lionel Messi meist gar nichts. Sein erstes WM-Spiel zeigt: Das könnte vorbei sein.
Es war schon mehr als eine Stunde gespielt, als Lionel Messi einen Freistoß in die Wolken trat. Er verzog das Gesicht, die argentinischen Fans stöhnten. Und alle dachten: Geht das schon wieder los? Können wir Messi schon wieder vergessen bei dieser WM? Was ist verdammt noch mal sein Problem?
Bis dahin hatte Messi beim WM-Auftakt der Argentinier gegen Bosnien-Herzegowina sehr schlechten Fußball gespielt. Der beste Kicker der vergangenen Jahre bekam zwar immer wieder den Ball zugesteckt, stets verbunden mit der Aufforderung, etwas aus der Gelegenheit zu machen. Doch dann gab es genau zwei Möglichkeiten: Entweder Messi verlor den Ball. Oder er verlor ihn. Wenn Messi sich nicht verdribbelte, landete Brazuca – der Ball – in den Füßen des Gegners. Er bewegte sich kaum und wenn, dann so schwerfällig wie ein betrunkener Tangotänzer.
Argentiniens Fans kennen das. Während er im Trikot des FC Barcelona die Welt verzauberte, wirkte Messi in den weiß-blau-gestreiften Hemden lange wie sein unbegabterer Zwillingsbruder. Es gibt einen inzwischen beliebten Witz. Nämlich den, dass Arne Friedrich – ein fleißiger, aber fußballerisch nicht mit Ausnahmetalent gesegneter deutscher Innenverteidiger – genauso viele WM-Tore erzielt hat, wie Lionel Messi. Genau eines.
"Messi, der Fremde"
Als Argentinien bei der Copa America 2011 schon im Viertelfinale ausschied, wurde Messi ausgebuht. Ihm sei die Nationalelf egal, weil er ja schon mit 13 Jahren nach Spanien ging, hieß es. Ein bekannter Schriftsteller veröffentlichte einen Text mit dem Titel: "Messi, der Fremde". Messi dachte über einen Rücktritt aus der Nationalelf nach. Die Last der Erwartungen schien den zerbrechlichen Kerl zu überfordern.
Doch an diesem lauen, sonntäglichen Sommerabend in Rio de Janeiro sollte alles anders werden. Das Rätsel Messi wurde gelöst. Zumindest grob. Nur ein paar Minuten nach seinem vergeigten Freistoß bekam der 26-Jährige den Ball und wurde immer schneller. Man kennt das, hat Messi erst einmal Fahrt aufgenommen, ist es oft zu spät. Er rauschte durch die bosnisch-herzegowinische Abwehr. Schuss, Innenpfosten, Tor, 2:0, die Entscheidung.
Jetzt ist alles möglich
Messi jubelte danach gelöst, und auch die argentinischen Fans freuten sich noch ekstatischer als sonst. "Messi, Messi", riefen sie, in diesem monoten Ton, mit dem man Götzen anbetet. Sie alle spürten, dass dieser Augenblick etwas verändert haben könnte in ihrem Superstar. Schon die Qualifikation zur WM spielte Messi stark, doch das hier war etwas anderes. Das war WM und Messi traf. Nun schien alles möglich.
Vor allem, weil Lionel Messi von diesem Zeitpunkt an der beste Mann auf dem Platz war. Er lief wieder, schlug seine Haken und verteilte gleichzeitig die Bälle. Das alles in einem Tempo, bei dem sich andere ohne Ball schwer tun. Fast hätte Messi auch noch ein drittes Tor gemacht. Die Zuschauer wählten ihn zum Spieler des Spiels, obwohl er die ersten 65 Minuten nur zusah. "Es war eine großartige zweite Hälfte", sagte Messi nach dem Spiel auf der Pressekonferenz.
Nur ein paar Minuten vorher saß dort einer, der erklären konnte, was mit Messi geschah. Alejandro Sabella, Argentiniens bei uns eher unbekannter Trainer. Übertrieben gesagt ist Sabellas vordringlichste Aufgabe, seinem Superstar das Fußballerleben so angenehm wie möglich zu gestalten. Das macht er auch. Da sind schon mal ein paar freie Extra-Tage drin und ein System, das Messi mag: Möglichst viele Stürmer vor sich, die ihm den Weg frei machen oder mit denen er spielen kann.
Erstmals seit fünf Jahren gewann er keinen Titel
Der Messi Argentiniens spielt einen beinahe klassischen Zehner. Hinter den Spitzen darf er nach vorne alles probieren und auch guten Gewissens mal die Defensivarbeit den Kollegen überlassen, die dieses Handwerk gelernt haben. Im modernen Fußball eine beinahe anachronistische Vorangehensweise, die gegen Bosnien-Herzegowina aber auch erst aufging, als mit Higuain zur Halbzeit ein dritter Offensiver kam. "Er ist der beste Fußballer der Welt, wir tun alles, um Messi zu unterstützen", sagte Sabella.
In dieser Saison, in Barcelona, war Messi nicht in Bestform. Seine Zahlen, 21 Tore in der spanischen Liga, acht in der Champions League, würden für fast jeden anderen Fußballer die Saison ihres Lebens bedeuten. Doch nicht für Messi. Erstmals seit fünf Jahren gewann er keinen Titel. Er schone sich für die WM, wurde gemunkelt. Genau wie in den ersten 65 Minuten an diesem Sonntag in Rio de Janeiro.
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