ARD-Dokumentation „Das Mädchen“ Ein Mord, der hätte verhindert werden … – FAZ

© NDR

Ihre Freundin konnte gerettet werden, weil die britische Regierung - anders als die deutsche - Druck gemacht hatte: Elisabeth Käsmann

Das Mädchen

© NDR



Ihre Freundin konnte gerettet werden, weil die britische Regierung - anders als die deutsche - Druck gemacht hatte: Elisabeth Käsmann

Auf den Tag genau vor siebenunddreißig Jahren, am 5. Juni 1977, fand in Buenos Aires ein Fußballspiel statt. Die argentinische Nationalelf traf auf die deutsche Auswahl, die das bessere Ende für sich behielt. Mit drei zu eins Toren entschied sie die Begegnung für sich, ein Vorspiel zur Fußball-WM, die im Jahr darauf in Argentinien stattfand. Einen Tag später, am 6. Juni, wurde offiziell mitgeteilt, dass die in Argentinien lebende Deutsche Elisabeth Käsemann bei einem Feuergefecht ums Leben gekommen sei. Das war eine Lüge.

Michael Hanfeld



Folgen:
 


Die junge Frau war von der argentinischen Militärjunta in ein Konzentrationslager verschleppt, gefoltert, vergewaltigt und am 23. Mai 1977 ermordet worden. Ihr Tod hätte verhindert werden können, das Fußballspiel hätte nicht stattfinden dürfen. Es diente der Camouflage eines Unrechtsregimes, an dessen Taten sich die deutsche Politik, das Auswärtige Amt, der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher durch Nichtstun zumindest indirekt mitschuldig machten. Siebenunddreißig Jahre später hat der Journalist Eric Friedler den Fall wieder aufgerollt, siebenunddreißig Jahre später hätte Hans-Dietrich Genscher die Gelegenheit nutzen können, etwas dazu zu sagen.

Argentinien war weit weg

Die beiden Politiker, die damals als Staatssekretäre im Auswärtigen Amt wirkten, stellen sich Friedlers Fragen: Hildegard Hamm-Brücher und Klaus von Dohnanyi. Sie können nicht wirklich sagen, warum dieser Mord nicht verhindert wurde, aber sie weichen ihrer Verantwortung nicht aus. Er sei mit dem Kopf wohl in Europa gewesen, sagt von Dohnanyi. Europa, Deutschland - das war 1977 der heraufziehende „Deutsche Herbst“, die Bedrohung durch den Terrorismus der RAF. Am 7. April 1977 wurden der Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine beiden Begleiter vom „Kommando Ulrike Meinhof“ ermordet, Ende Juli der Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, im September und Oktober wurde Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt und ermordet, die Lufthansa-Maschine „Landshut“ wurde gekapert.

Argentinien war weit weg, das Schicksal einer jungen Deutschen, die für Oppositionelle falsche Pässe besorgt hatte und von der die Junta behauptete, sie sei in den Terrorismus verstrickt, nicht groß von Belang. „Ach, das Mädchen Käsemann“, soll Hans-Dietrich Genscher einmal bei einer Besprechung gesagt haben, hören wir im Film von Eric Friedler. Daher bezieht er seinen Titel: „Das Mädchen - Was geschah mit Elisabeth K.?“.

Warum es keine Rückendeckung gab

Was mit ihr geschah, rekonstruiert Friedler minutiös. Er spricht mit Diana Austin, einer Freundin von Elisabeth Käsemann, die ebenfalls von der Junta gefangen gehalten und gefoltert wurde, aber freikam. Sie kam frei, weil die britische Regierung Druck ausgeübt hat. Sie machte im März 1977 publik, dass Elisabeth Käsemann in dem Foltergefängnis „El Vesubio“ festgehalten wurde und - zu diesem Zeitpunkt - noch lebte. Amnesty International schaltete sich ein, die Familie Käsemann wandte sich ans Auswärtige Amt. Doch es geschah nichts.

Jörg Kastl, der damalige deutsche Botschafter in Buenos Aires, der kürzlich verstarb, will im Interview zwar so tun, als habe man alles unternommen. Doch das Gegenteil ist wahr, wie Friedler zeigt - es gibt nicht den kleinsten Nachweis, dass sich die deutsche Diplomatie eingeschaltet hätte. Selbst das Angebot, Elisabeth Käsemann freizukaufen, wurde nicht beachtet, wie der Pfarrer Armin Ihle berichtet, der damals bei der deutschen Botschaft um Rückendeckung bat. Er bekam sie nicht. Hört man den ehemaligen Botschafter Kastl, weiß man auch, warum. Diese Elisabeth Käsemann sei doch so unglaublich links gewesen, da hätte man sich doch denken können, dass sie bereit gewesen sei zu terroristischen Taten. Und zu ihrem Tod sei es auch „nicht ganz ohne Gründe“ gekommen.

Ein Stuhl bleibt leer

Kastl übernimmt solchermaßen die Argumentation der Täter. Von denen kommt bei Friedler auch einer zu Wort: der ehemalige Gefängniswärter Roberto Zeolitti, der zu 22 Jahren Haft verurteilt wurde. Er spricht von der Elektrofolter, der auch Elisabeth Käsemann ausgesetzt wurde, von den Vergewaltigungen, vom Flehen der Gefangenen, sie zu verschonen. „Sie zerstörten uns Stück für Stück“, sagt eine Argentinierin, die im Konzentrationslager „El Vesubio“ war. Sie sah, wie Elisabeth Käsemann mit fünfzehn anderen abtransportiert wurde. Die argentinische Junta wird wenig später berichten, bei einer Schießerei seien sechzehn Terroristen ums Leben gekommen. Die sechzehn Gefangenen wurden hingerichtet, fast nackt, mit verbundenen Augen, davon berichtet ein Soldat, der zu dem Einsatz befohlen wurde.

Und die deutschen Fußballspieler? Sie waren ahnungslos und wurden vom damaligen DFB-Chef Hermann Neuberger, der von der Geschichte wusste, bewusst ahnungslos gehalten. Worüber sich Paul Breitner, Berti Vogts, Sepp Maier und Karl-Heinz Rummenigge erschüttert zeigen. Doch wenigstens im Nachhinein, sagt Paul Breitner, müsse man sich der Verantwortung stellen. Wenn man sich über einen solchen Vorfall nicht empören könne, worüber denn dann?

Mehr zum Thema

  •  Eine herausragende ARD-Dokumentation erinnert an den Genozid an den Armeniern 
  •  DFB und Argentiniens Junta: Das Geschäft mit den Mördern 
  •  Der Pirat, der unter der Friedensflagge segelte: „The Voice of Peace“ im Ersten 
  •  Filmdoku mit und über Margot Honecker: Die brauchten ja nicht über die Mauer zu klettern 

Ein Stuhl bleibt leer am Ende dieses Films, der sich in das herausragende OEuvre von Eric Friedler einreiht („Das Schweigen der Quandts“, „Aghet - Ein Völkermord“, „The Voice of Peace - Der Traum des Abie Nathan“). Es ist der Stuhl von Hans-Dietrich Genscher, der Friedler vor rund einem Jahr die Zusage für ein Interview gab, seither aber keine Zeit dafür fand. Auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt fehlt in der Reihe derer, die sich an Elisabeth Käsemann erinnern. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, deren Tod hätte verhindert, die Geschichte eines Mordes, der hätte verhindert werden können.

Schließen

Bitte melden Sie sich zunächst hier an.

Sie folgen Michael Hanfeld bereits.

Sie folgen jetzt Michael Hanfeld.

Eine Übersicht aller Autoren und Leser, denen Sie folgen, finden Sie unter dem Menüpunkt "Meine Autoren" bei Mein FAZ.NET.

Die Aktion konnte nicht durchgeführt werden. Es trat ein Fehler auf.

Das Mädchen - Was geschah mit Elisabeth K.? läuft an diesem Donnerstag um 22.45 Uhr im Ersten.

Quelle: F.A.Z.


Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben


Das Geschäft mit den Mördern


DFB und Argentiniens Junta
Das Geschäft mit den Mördern

Es ist eine eindrucksvolle Dokumentation: Argentiniens Diktatoren ermorden 1977 eine deutsche Studentin, der Deutsche Fußball-Bund tritt willfährig zum Freundschaftsspiel an.

Mehr

Von
Anno Hecker


Argentinien verspricht Rückzahlung von 9,7 Milliarden Dollar


Einigung im Schuldenstreit
Argentinien verspricht Rückzahlung von 9,7 Milliarden Dollar

Seit seiner Staatspleite im Jahr 2001 hat Argentinien keine Zahlungen mehr an die Gläubigerländer geleistet. Nun verspricht das südamerikanische Land, Schulden in Höhe von 9,7 Milliarden Dollar binnen fünf Jahren zu begleichen.

Mehr

Von
Carl Moses, Buenos Aires


Alle Augen auf „Ausländer“ Messi


WM-Vorschau Argentinien
Alle Augen auf „Ausländer“ Messi

Argentinien reist mit großer Offensivkraft zur Fußball-WM ins Land von Erzrivale Brasilien. Im Viertelfinale aber droht wieder das Duell mit „Angstgegner“ Deutschland. Alles zu Argentinien in der WM-Vorschau.

Mehr

Von
Tobias Rabe

Open all references in tabs: [1 - 7]

Leave a Reply