Amanshausers Welt: 429 Argentinien

Der Schnackerl meines Lebens erwischte mich in Buenos Aires, als ich den Mercado San Telmo verließ. Zuerst war es ein normaler Schnackerl. Nur dauerte er lang. Ich ging heim in mein Pensionszimmer, trank drei Schluck Wasser, stellte mich auf den Kopf, hielt sieben Mal die Luft an, machte zwölf Liegestütze und drei Spagate – doch er hielt an. Irgendwann bekam ich Hunger und holte mir chinesisches Junkfood. Der Chinese meinte, ich solle die Ellbogen gegen den Bauch pressen und Hu-hu-hu machen. Ich machte Hu-hu-hu. Der Schnackerl blieb.
Am nächsten Morgen war er auch noch da. „Der längste bekannte Schluckauf dauerte fast siebzig Jahre“, recherchierte ich. Das betreffende Opfer schluckte 430 Millionen Mal auf. Ich rechnete. Bald würde ich den ersten Zehntausender erreichen.

Ich rülpste, fauchte wie ein Tiger, ließ mich massieren, sprang über parkende Taxis, rauchte Cannabis. Manchmal schien der Schnackerl zu verebben, wurde gleichsam leise, schwieg sogar auffällig – und kehrte zurück. Dieser Schnackerl war, was mich betraf, seriell monogam. Ich überlegte, ob meine Kreditkarten-Versicherung einen Rücktransport nach Wien zahlen würde. Bevor ich an diesem Schnackerl einging, wollte ich meine Familie ein letztes Mal sehen. Außerdem vertraute ich den Schnackerlologen in Wien gefühlsmäßig mehr als jenen in Buenos Aires.

Ich ging ins Café Tortoni. Ein Bärtiger in Künstlersakko, offensichtlich verrückt, vielleicht betrunken, setzte sich zu mir. Normalerweise hätte ich ihn oder mich selbst entfernt, jetzt war ich zu schwach. Ich schnackerlte ihm ins Gesicht. Er meinte, alle Politiker seien Gauner. Ich machte grimmig Hu-hu-hu. Unverdrossen erzählte er mir Zeug. Er sprach von einem argentinischen Präsidenten, der 1991 auf Staatsbesuch in Italien einen Ferrari als Geschenk erhalten hatte. Seine Kritiker sagten jedoch, der Ferrari gehöre dem Staat, nicht ihm als Privatperson. Der Präsident erklärte im TV: „La Ferrari es mía, mía, mía!“, er gehöre ihm, ihm, ihm . . . Er habe ihn bekommen, wieso sollte er ihn hergeben?

Ich musste lachen. Als ich zu Ende gelacht hatte, spürte ich, der Schnackerl war weg. Er war weg, weg, weg! „Gracias señor!“, rief ich und umarmte den Bärtigen, „gracias, gracias, gracias, señor, señor, señor! Hu-hu-hu!“ Ich küsste ihn auf beide Wangen und rannte jubelnd aus dem Tortoni. Er muss mich für einen Verrückten gehalten haben.

Schluckauf-Forschung. Mercado San Telmo, Ecke Bolívar und Carlos Calvo; Café Tortoni,
www.cafetortoni.com.ar, Avenida de Mayo 825, Buenos Aires, Argentinien.

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