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Die Behauptung, die Präsidentin Kirchner stecke hinter dem Tod eines Staatsanwalts, entbehrt wohl jeglicher Grundlage. Doch das erratische Krisenmanagement der Staatschefin hat dem Ansehen des Landes und seiner Justiz geschadet.
Siebzig Tage sind vergangen, seit der argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman tot in seinem Apartment aufgefunden wurde - und noch immer sind die Ermittler weit von einer Lösung des Falls entfernt. Was jedoch allmählich klarer wird, ist, dass Nisman sich offenbar in ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen verrannt hatte.
Nisman hatte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner anklagen wollen. Er war der Meinung, ihre Regierung habe die Aufklärung eines Attentats auf das jüdische Zentrum Amia aus dem Jahr 1994 vereiteln wollen - im Sinne guter Beziehungen zu Iran, wo Nisman die Hintermänner vermutete.
Nun haben Bundesrichter in zweiter Instanz festgestellt, dass diese Anschuldigung jeder Grundlage entbehrte. Dadurch wird auch die Unterstellung von Kirchners politischen Gegnern immer haltloser, die Präsidentin selbst habe Nisman womöglich beseitigen lassen, um einem unangenehmen Verfahren aus dem Weg zu gehen.
Ein Motiv Kirchners, hinter Nismans Tod zu stecken, ist denkbar unplausibel
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Diese Unterstellung war schon vor dem Richterspruch unplausibel. Wenn man eine Tat aufklären will, fragt man am besten nach dem Motiv. Welches Motiv also hätte die Präsidentin gehabt, einen kritischen Staatsanwalt ausgerechnet einen Tag vor einer Parlamentsanhörung im Fall Amia abknallen zu lassen? Um öffentliche Aufregung zu vermeiden? Eine solche Dämlichkeit dürften nicht mal ihre erbittertsten Gegner der Präsidentin zutrauen. Denn dass Nismans Ableben nicht nur in Argentinien, sondern auch weltweit allerhöchste Aufmerksamkeit erregen würde, war angesichts der Verwicklung Irans jederzeit absehbar.
Ja, der Tod des Staatsanwalts hat die öffentliche Aufmerksamkeit überhaupt erst wieder auf den Fall Amia gelenkt, der außerhalb der jüdischen Gemeinde kaum mehr jemanden interessiert hatte. Die meisten Argentinier haben angesichts von Inflation und Kriminalität andere Sorgen.
Nismans Rolle wird wohl nie geklärt werden
Wenn der Fall Nisman politisch jemandem geschadet hat, dann der Präsidentin selbst. In Argentinien wimmelt es von Leuten, die das mit Genugtuung erfüllt: von den Agrarbaronen, mit denen Kirchner sich in der Steuerpolitik anlegte über die Mittelschicht, wo man die restriktive Importpolitik beklagt - bis hin zu finsteren Geheimdienstkreisen, die sogar die Diktatur überstanden haben und die von der Regierung gerade entmachten werden sollten.
Welche Rolle Alberto Nisman in dem Geflecht aus politischen Gegnern, Geheimdiensten, iranischen Spionen und üblen Diktaturhinterlassenschaften spielte, ob er Handelnder oder Werkzeug war, wird womöglich nie geklärt werden.
Kirchners historische Leistung wird die berechtigten Klagen überdauern
Fernández de Kirchners Fehler in dem Fall war ihr launisches, erratisches Krisenmanagement, das dem Ansehen Argentiniens und seiner Justiz geschadet hat. Dabei hat gerade diese Justiz immer wieder Vorbildliches geleistet, vor allem bei der Vergangenheitsbewältigung. Es war einst die Regierung Kirchner, die Richter und Staatsanwälte ermunterte, Prozesse gegen Ex-Diktatoren offensiv neu aufzurollen, nachdem frühere Präsidenten die Verbrechen der Jahre von 1976 bis 1983 am liebsten unter den Teppich des Vergessens gekehrt hätten.
Diese historische Leistung wird die oft berechtigten Klagen über ihre Wirtschaftspolitik und ihr autoritäres Gehabe überdauern, wenn Fernández de Kirchner ihre Präsidentschaft nach der Wahl im Oktober beendet.
Wer immer ihre Nachfolge antritt, wird eine zerstrittene Gesellschaft erben, ein Land, das "man nicht im Konsens reformieren kann", wie der Schriftsteller Marcelo Figueras mal gesagt hat. Doch das ist nicht erst seit dem Fall Nisman so.
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