Kaum Deutschkenntnisse habe er gehabt, als er in Frankfurt landete. Erst drei Monate vorher war deutlich geworden, dass er sein Auslandsjahr in Deutschland verbringen würde. „Hallo“ konnte er sagen, die Zahlen bis zehn beherrschte er, außerdem „Ich hab Hunger“ und „ich komme aus Argentinien“. Inzwischen versteht und spricht Samuel – Hochdeutsch. Und Schwäbisch „ein bissle“, ergänzt er schmunzelnd. Er besucht eine zehnte Klasse im Kreisgymnasium, schreibt Klassenarbeiten mit – „sehr schlecht“, sagt Samuel –, erledigt die Hausaufgaben und verbessert sein Deutsch täglich. Er fühle sich wohl, habe kein Heimweh, sagt er, nicht einmal an Weihnachten.
Dabei seien seine argentinische Heimat und die Gebräuche ganz anders als hier. Die Begrüßung sei ihm als einer der ersten Unterschiede aufgefallen. In Argentinien verteilen alle – Junge, Alte, Frauen, Männer – Wangenküsschen rechts und links. Außer in Buenos Aires, ergänzt Samuel; dort küssten sich alle nur ein Mal. Das in Deutschland übliche Händeschütteln werde nur als ganz formale Geste ausgeführt. Die dabei spürbare Distanz sei für ihn anfangs merkwürdig gewesen. Überhaupt schlössen Argentinier viel schneller Freundschaften; hier müsste er sich mehr anstrengen, um Freunde zu finden. Das finde er gut, entspreche ihm.
Über Samuels anfängliches Erstaunen, dass sowohl Autos als auch Fußgänger an roten Ampeln stoppen, auch wenn kein Auto zu sehen sei, berichtet sein „Vater“ Armin Bauschatz. Aber inzwischen habe sich der Gast-Sohn daran gewöhnt, wie auch an die so ganz andere Landschaft, das ganz andere Klima. Hier habe er sich als Erstes eine Winterjacke gekauft, fügt Samuel hinzu, die er auch jeden Tag trage. Es habe sich „komisch“ angefühlt, zum ersten Mal Schnee zu sehen und zu fühlen. Doch er sagt: „Hier ist es gut.“ An Grüningen gefalle ihm die Ruhe, die gute und frische Luft, die hügelige und grüne Landschaft – das schwäbische Essen: „Maultaschen und Spätzle sind echt lecker.“ Süßes sei viel weniger süß als zu Hause und das Leben preiswerter.
Auch das Dasein auf dem Grüninger Bauernhof mit drei „Geschwistern“ sei zwar neu, aber kein Problem. Dabei, ergänzt Lisa Bauschatz schmunzelnd, sei es „echt heftig“ gewesen zu Beginn. Kein Deutsch, keine Landerfahrung. „Und dann noch eine Öko-Familie!“ Inzwischen „bubelten“ die „Brüder“ miteinander, mit dem jüngeren Lorenz spiele Samuel Basketball. Auch im Toskana-Urlaub im Herbst waren alle sechs zusammen.
Zwei Gründe führen Lisa und Armin Bauschatz an für die Entscheidung, Gasteltern zu werden für einen jungen Menschen aus einem anderen Land. Durch den Bauernhof der Familie seien sie gebunden: „Wir holen uns die Welt ins Haus.“ Und: Maurus, der ältere Bauschatz-Sohn, war als 16-Jähriger 2013/14 für ein Jahr in Kolumbien. Dort habe ihn eine Familie ehrenamtlich so gut aufgenommen: „Das wollten wir weitergeben.“
Und Samuel? Er erzählt, dass er unbedingt ins Ausland wollte. Sprachen lägen ihm. „Ich wollte eine schwere Sprache lernen.“ Und Deutsch sei schwer. „Und vor allem Schwäbisch!“, sagt er schmunzelnd. Auch die Kultur und Lebensart interessieren ihn, Politik und Geschichte ebenso. Zusammen fanden die beiden Parteien Bauschatz und Pilar über die international tätige Organisation „American Field Service“ (AFS), die auch Auslandsjahre in Gastfamilien vermittelt. Aufgrund von Bewerbungsunterlagen. Auch einem kompletten Lebenslauf. Mehrere Unterlagen zur Auswahl habe die Familie Bauschatz von AFS erhalten. Ausschlaggebend sei Samuels letzter Satz im Lebenslauf gewesen: „Ich putze bei meiner Oma und jetzt duftet das ganze Haus nach Lavendel.“
Das Geld für den Aufenthalt habe Samuel sich selber verdient, sagt Lisa Bauschatz. Und Samuel sei als bodenständig, als passend in die Familie aufgenommen worden. Die Dauer solch eines Aufenthaltes von einem Jahr sei jedoch wichtig, ergänzt sie: „Jetzt fängt das soziale Leben an.“ Sein Deutsch sei in den vier Monaten bisher deutlich gewachsen und das sei sehr wichtig für alles Weitere.